Logo der WHO an einem Gebäude
Wiki | Guilhem Vellut - CC BY 2.0

Der ➡️ WHO-Pandemievertrag – Sinnvolle Maßnahme oder Machtinstrument?

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie einschneidend und katastrophal eine globale Pandemie sein kann. Es war die schlimmste Gesundheitskrise seit den 1940er Jahren und das erste Mal, dass der größte Teil der Welt gleichzeitig strenge Abriegelungen, Bewegungseinschränkungen und Quarantänen erlebte. Politisch wurde einiges richtig - aber auch viele Fehler gemacht.

Politische Entscheidungsträger wurden vielfach kritisiert, weil sievielerorts schlecht auf die Pandemie reagierten und es versäumten, Maßnahmen umzusetzen, die Leben hätten retten können. Langsame Reaktionen, mangelnde Vorbereitung und Finanzierung, Ungleichheit bei den Impfstoffen und ein allgemeiner Mangel an Konsens zwischen den Ländern verhinderten die Umsetzung wirksamer globaler Strategien.

Um zukünftig effizienter und schneller auf solche globalen Ereignisse reagieren zu können, hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im November 2021 einen globalen Pandemievertrag vorgeschlagen. Bei der 76. Weltgesundheitskonferenz im Mai 2024 soll eine abschließende Übereinkunft erzielt werden, die dann auch rechtsverbindlich sein soll – für alle, die unterzeichnet haben.

Bessere Welt Info schaut kritisch auf diesen Vertrag, der eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Ländern, Unternehmen und internationalen Organisationen ermöglichen soll, um die Vorbereitung und Reaktion auf globale Gesundheitskrisen zu stärken.

Denn der Verlust der biologischen Vielfalt, die sich schnell verändernden Lebensräume und die übermäßige Ausbeutung der natürlichen Ressourcen führen dazu, dass Tiere stärker mit Menschen in Kontakt kommen und das Risiko zoonotischer Krankheiten steigt.

Aktuelle Studien zeigen außerdem, dass über die Hälfte der Infektionskrankheiten durch den Klimawandel verschlimmert wurden. Die jährliche Wahrscheinlichkeit extremer Epidemien könnte sich in den kommenden Jahrzehnten ohne ernsthafte Eingriffe verdreifachen.

Globale Pandemien zerstören Leben, Gesundheitssysteme, Lebensgrundlagen, Bildung und Wirtschaft. Die Zahl der Todesopfer durch das Coronavirus erreichte 7 Millionen, die globale Wirtschaftsleistung sank um 8,5 Billionen US-Dollar, die Gleichstellung der Geschlechter wurde um Jahrzehnte zurückgeworfen und Menschenrechtsverletzungen nahmen sprunghaft zu.

Neben der Umsetzung des WHO-Vertrags diskutieren die Mitglieder aktuell auch über vorgeschlagene Änderungen der ➡️ Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) von 2005 mit Schwerpunkt auf Notfällen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, künftiger globaler Sicherheit, Gerechtigkeit und der Überwachung schwerwiegender Epidemien.

Was steht im Pandemievertrag?

Ein konkreter Vertragsentwurf der WHO liegt bereits vor. Darin findet sich ein kollektives Bekenntnis zu Solidarität, Fairness, Inklusion, Gender, Nachhaltigkeit und Klima. Es wird über den Zugang zu Medikamenten, die Verteilung zwischen armen und reichen Ländern und den Umgang mit dem Patentschutz während einer Pandemie verhandelt. Es sollen Mechanismen geschaffen werden, die die Produktion und Verteilung von Impfstoffen in Krisenzeiten erleichtert.

Daneben geht es um den Informationsfluss, neue Technologien, Frühwarnsysteme, die allgemeine Stärkung des Gesundheitswesens oder die Sicherung globaler Lieferketten. Die Koordination bei der Reaktion auf Pandemien soll verbessert und die Transparenz bei der Berichterstattung über Gesundheitskrisen soll erhöht werden. Dafür sollen Falschmeldungen und Fake News zu Krankheitsbildern oder Impfskepsis wirkungsvoll bekämpft werden.

Dazu gehört auch die Schaffung eines globalen Daten- und Überwachungssystems für den Austausch von Informationen über Krankheitsausbrüche, die Stärkung der Gesundheitssysteme in Ländern mit begrenzten Ressourcen und die Förderung von Forschung und Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe gegen aufkommende Krankheiten.

Auch die Finanzierung spielt eine wichtige Rolle: Jedes Land soll mindestens 5 % der Gesundheitsausgaben für Prävention und die internationale Kooperation mit Entwicklungsländern aufwenden. Zudem soll ein Instrument zur Entschädigung von Impfopfern eingerichtet werden.

 

Mehrere medizinische Angestellte betreuen Bürger während der Covid-Pandemie
Flickr | Ville de Gennevilliers - CC BY-NC-ND 2.0

Fake News und Kritik am Pandemievertrag

Allerdings stieß das Vorhaben auch auf einige Kritik. Sowohl von offiziellen politischen Vertretern als auch von verschwörungstheoretischen Kreisen wurde vor dem Vertrag gewarnt, denn er würde die nationalen Rechte beschneiden und die WHO bei zukünftigen globalen Gesundheitsrisiken die Befehlsgewalt erhalten. Man befürchtet, dass die WHO Ausgangssperren oder eine globale Impfpflicht einführen könnte. Damit wären nationale Alleingänge, wie von Schweden in der Corona-Pandemie, in Gefahr – heißt es. Fest steht: Der bisherige Vertragsentwurf enthält einige weiße Flecken und undefinierte Bereiche. Welche Konsequenzen der Vertrag für die einzelnen Länder konkret haben wird, ist nicht bis ins Detail geregelt.

Einige Behauptungen lassen sich allerdings recht schnell entkräften. Ausführlich nachzulesen bei den Faktenchecker von DW, Profil oder Correctiv. So ist es schlichtweg falsch, dass die WHO in die Souveränität von Staaten eingreifen kann; derzeit hätte sich nicht die nötigen Befugnisse und auch der Vertrag scheint daran nichts zu ändern. Denn die Wahrung der nationalen Souveränität wird mehrmals im Vertragsentwurf erwähnt. Es wird sogar ein Grundsatz aufgeführt, der die Handlungsmacht der Staaten bei der Vorsorge, Reaktion und Bekämpfung zukünftiger Pandemien absichert. Der Vertrag wird zudem von den 194 Mitgliedsstaaten ausgehandelt; heißt, es besteht deutliches Mitspracherecht. So kann die WHO Empfehlungen aussprechen und Staaten in ihrem Handeln kritisieren - Sanktionen verhängen kann sie jedoch nicht.

Aus verschwörungstheoretischen Kreisen wird sogar davor gewarnt, dass die WHO dann Truppen entsenden könnte, um den Pandemievertrag oder einen diktierten Impfzwang durchzusetzen. Diese Annahme ist grundlegend falsch, denn auch damit wäre die nationale Souveränität verletzt. Auch die Vereinten Nationen wären dazu nicht in der Lage, denn sie verfügen nicht über ständige militärische Kräfte. Friedensmissionen müssen durch die Mitgliedsstaaten abgestimmt werden, die dann militärische Kräfte stellen würden. Auch der UN-Sicherheitsrat, bestehend aus Mitgliedsstaaten, müsste seine Zustimmung geben.

Ein weiterer Mythos besagt, dass die WHO durch digitale Pässe die Bewegungsfreiheit einschränken und kontrollieren kann. Auch dazu findet sich kein Hinweis im Vertragsentwurf. Bislang obliegt die Datensammlung den Staaten. Dennoch gibt es auch berechtigte Kritik am bisherigen Vertragsentwurf, da einige Bestimmungen über das notwendige Maß des Informationsausstausches hinausgehen.

Auch vor einem Impfzwang infolge des Pandemievertrags wird gewarnt. Davon ist im Text ebenfalls nicht die Rede. Während der Covid-Pandemie hatte die WHO sogar vor einem Impfzwang gewarnt und es als letztmögliche Option bezeichnet – dafür wurde auf nationaler Ebene darüber debattiert. In Deutschland wurde eine einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen. Verfassungsrechtlich ist so etwas in Deutschland allerdings nur möglich, wenn es als verhältnismäßig eingestuft ist.

 

Eine Demo für mehr Gerechtigkeit in der Pandemiebekämpfung
Flickr | Rasande Tyskar - CC BY-NC 2.0

Soziale Gerechtigkeit und der Einfluss der Pharmaindustrie

Im Pandemievertrag geht es stattdessen um die gerechtere Verteilung von Impfstoffen, Wissen und sonstigen Ressourcen zwischen ärmeren und reicheren Ländern. Das ist tatsächlich ein sehr legitimer Punkt, denn die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es in diesem Bereich dringende Maßnahmen bedarf. Zwar hatte die WHO die globale Initiative COVAX mitgegründet, die darauf abzielte, einen gerechten Zugang zu COVID-19-Impfstoffen sicherzustellen, insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. 

Die Initiative wurde allerdings auch wegen mangelnder Transparenz in ihren Verträgen mit Pharmaunternehmen kritisiert, von Pandemie-Profiteuren behindert und es gelang ihr nicht, die Impfstoffproduktion in Ländern mit niedrigem Einkommen auszuweiten. So waren viele Entwicklungsländer in dieser Zeit deutlich stärkeren Folgen ausgesetzt, weil es ihnen an Medikamenten oder Impfstoffen fehlte.

Die Equity Group und eine Gruppe afrikanischer Länder fordern deshalb bei aktuellen Verhandlungen, dass sie selbst Impfstoffe herstellen und ihre Regionen versorgen wollen. Dafür bräuchte es allerdings auch klare Regelungen im Patentrecht, die vor allem in der Covid-Pandemie dafür sorgten, dass Pharmakonzerne Impfstoffe nur selbst produzieren und verkaufen konnten. Aktuell zeigt sich der traurige Trend, dass die wohlhabenderen Staaten versuchen, mit jedem neuen Entwurf des Pandemievertrags ihre Zusagen und Verpflichtungen abzuschwächen.

Ein valider Kritikpunkt dahingehend betrifft auch den potenziellen Einfluss der Pharmaindustrie auf den Vertrag und die damit verbundenen Entscheidungsprozesse. Es besteht die Befürchtung, dass die Interessen der Pharmaindustrie die Politik zur Pandemievorbereitung und -reaktion beeinflussen, was zu ungleichen Verteilungen von Ressourcen und unzureichenden Maßnahmen führt. 

Neben dem ungleichen Zugang zu Impfstoffen gab es während Covid erhebliche Preissteigerungen bei Medikamenten – auch dies führte zu spürbarer Ungleichheit. Im Vertragsentwurf ist zum Einfluss und dem Umgang mit der Pharmaindustrie leider nichts vermerkt. Der Technologietransfer, der zwingend notwendig ist, um gerechte Verteilung und effektive Versorgung sicherzustellen, sollte, laut einem Vorschlag der EU-Kommission, nur mehr auf Freiwilligkeit beruhen.

 

Eine Demo für mehr Gerechtigkeit in der Pandemiebekämpfung
Flickr | Rasande Tyskar - CC BY-NC 2.0

Ein Pandemievertrag für globale Gerechtigkeit

In der Debatte um den WHO-Pandemievertrag zeigt sich vor allem, dass das Misstrauen in die Wissenschaft, Regierungen und transnationale Organisationen hoch ist. Die Covid-Pandemie, auch wenn sie aktuell eingedämmt ist, hat tiefe gesellschaftliche Spuren hinterlassen und vielerorts haben politische Fehlentscheidungen und mangelnde Aufarbeitung nachhaltigen Unmut geschürt. Befeuert wird dies immer wieder auch durch gezielte Falschmeldungen, die haltlose Aussagen nutzen, um soziale Spannungen zusätzlich zu befeuern und populistische Stimmungsmache zu betreiben. Nicht selten verbunden mit einer rechtsextremen oder antisemitischen Agenda. Eine gefährliche Mischung, die sich auch bei der Querdenker-Bewegung während der Corona-Pandemie beobachten ließ.

Denn die haltlose Debatte über einen WHO gesteuerten Impfzwang oder der Verlust nationaler Souveränität verhüllt das eigentliche Problem des Pandemievertrags: Eine gerechtere Verteilung von medizinischen Ressourcen und Wissen und damit auch eine zukünftige gleichwertige Pandemiebekämpfung wird bis dato verhindert – von reichen Industriemächten und der dort ansässigen Pharmaindustrie. Denn die versuchen aktuell alles, um verbindliche Richtlinien und Vorgaben dahingehend zu untergraben – allen voran auch Deutschland.

Deshalb forderte Ärzte ohne Grenzen unlängst klare Verpflichtungen im Pandemievertrag - anstatt freiwilliger Maßnahmen. Gefordert werden verbindliche Regeln über den Wissens- und Technologietransfer, eine Aussetzung des Patentrechts im Pandemiefall, um Monopolstellungen von Pharmakonzernen entgegenzuwirken und dass staatliche Investitionen in Forschung und Wissenschaft mit gerechtem Zugang verknüpft werden.

Fakt ist: Die nächste Pandemie wird kommen. Um diese gut und ohne größeren Verlust meistern zu können, braucht es internationale Zusammenarbeit und eine faire Verteilung von Ressourcen, Wissen und Medikamenten. Ein globaler Aktionsplan könnte dabei durchaus nützlich sein – wenn er eine konsequente und gerechte Linie verfolgt. Aktuell orientiert sich der Pandemievertrag leider wieder sehr an den Interessen der Global Player aus Wirtschaft und Poltik - und weniger an lösungsorientierten Ansätzen. 

„Wie ein solcher Vertrag ausgearbeitet wird und wie er aussieht und ob er ratifiziert wird, ist Sache unserer Mitgliedstaaten – der Nationen der Welt.“ Wir müssen unseren Kindern ein Vermächtnis hinterlassen: eine sicherere Welt für alle.“ - Dr. Tedros, Generaldirektor der WHO

Auf unserer Schwesterseite Better World Info finden sich wichtige Infos und Hintergründe zum Pandemie-Vertrag auf Englisch.

Autor: Maximilian Stark 28.03.24, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0

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