Giorgia Meloni und Ursula Von der Leyen bei einem EU-Meeting
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➡️ Rechtsruck in Europa – Rechte Parteien bei den EU-Wahlen 2024

Am 6. bis 9. Juni wird in Europa ein ➡️ neues Parlament gewählt. Bereits bei den letzten EU-Wahlen 2019 ließ sich ein Erstarken rechter Parteien erkennen. Auch auf nationaler Ebene sind die rechten Kräfte überall in Europa weiter gewachsen: Egal ob in direkter Regierungsgewalt in Italien oder Ungarn, mit Regierungsbeteiligung in Finnland oder Schweden oder als starke Opposition in Spanien oder Frankreich

Die FPÖ könnte nach den Nationalratswahlen im Herbst 2024 die stimmenstärkste Kraft in Österreich werden. Auch die AfD kann in Deutschland mit sehr guten Ergebnissen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg rechnen. 

In Belgien könnte die rechtsextreme Vlaams Belang und die nationalistische N-VA zusammen auf bis zu 45 % kommen. In Portugal konnte die rechte Chega bei den Wahlen im März ihr Ergebnis vervierfachen. Auch in Zypern und Rumänien können die Rechtspopulisten mit zweistelligen Ergebnissen rechnen. In den Prognosen zur EU-Wahl führen die Rechten in Frankreich und Österreich die Umfragen an. In Deutschland liegt die AfD aktuell auf dem zweiten Platz. 

Es könnte sich auf europäischer Ebene also das manifestieren, was sich auf nationaler schon seit Jahren abzeichnet: Europa rückt nach rechts und könnte sich dahingehend auch bald auf EU-Ebene verändern. Denn neben rassistischen und nationalistischen Positionen, die viele der Parteien vertreten, eint auch die Ablehnung der Europäischen Union. Eine starke rechte Front könnte das europäische Bündnis in Gefahr bringen. 

Bessere Welt Info schaut kritisch auf den Rechtsruck in Europa. Wir beleuchten die wichtigsten rechten Fraktionen, die vertretenen Parteien und ihre Positionen, schauen auf die potenziellen Gefahren einer rechten EU-Regierung für Europa und zeigen mögliche Gründe, die Populismus und Ausgrenzung ermöglichen. 

Rechte Parteien und Fraktionen in der EU

Im EU-Parlament gibt es derzeit zwei rechtsextreme bzw. rechtspopulistische Fraktionen: Die „Europäische Konservativen und Reformer"(EKR/ECR) und die „Identität und Demokratie" (ID). Die Grenze zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus lässt sich bei den beiden Fraktionen und den darin vertretenen Parteien mitunter nur schwer ziehen und ist oft fließend. Der Rechtspopulismus wird dabei als modernisierte oder gemäßigtere Form des Rechtsextremismus beschrieben, der vermeintlich für die Interessen der "kleinen Bürger" einsteht und sich gegen das "Establishment" in Form der anderen Parteien oder der Kulturindustrie, aber auch gegen gesellschaftliche Minderheiten wie die LGBTQIA-Community oder Geflüchtete richtet. 

Im Gegensatz zu Rechtsextremisten betonen Rechtspopulisten ihre Verfassungstreue. Rechtsextremisten bewegen sich außerhalb der demokratischen Grundordnung und lehnen diese zugunsten einer totalitären oder autoritären Staatsordnung ab. Die Grundlage bildet ein nationalistisches und rassistisches Weltbild, das sich auch auf Antisemitismus, völkische Ideologie und Geschichtsrelativierung beruft.

 

Das Logo der EKR.Fraktion
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  • Europäische Konservative und Reformer

Die EKR wird als konservative und EU-kritische Fraktion beschrieben, die in Teilen auch rechtspopulistisch ist. Sie wurde 2009 gegründet und tritt für eine umfassende Umstrukturierung der EU ein. Bis zum Brexit war die britische Conservative Party mit 18 Sitzen in der EKR vertreten. Seit den vergangenen EU-Wahlen ist die polnische PiS-Partei mit 27 Sitzen die stärkste Kraft im EKR. 

Die Partei tritt nationalistisch, rechtsradikal und klerikal-konservativ auf. Bis Dezember 2023 stellte sie auch die Regierung in Polen, wo sie versuchte, Presse und Justiz unter ihre Kontrolle zu bringen. Die postfaschistische Fratelli d'Italia unter Italiens Ministerpräsidentin Meloni ist mit 10 Sitzen aktuell die zweitstärkste Kraft. Seit ihrem Amtsantritt verfolgt sie einen ähnlichen autoritären Umbau-Kurs wie die PiS in Polen. Nach den EU-Wahlen würde sich der ungarische Ministerpräsident Victor Orban und seine Fidesz-Partei dem EKR anschließen. 

In Ungarn regiert Orban seit 2010 und hat dort bereits erfolgreich demokratische Institutionen destabilisiert. Die Vorwürfe sind lang: Einschränkung der Medien, Zweckentfremdung von EU-Geldern oder die Unterdrückung von Minderheiten. Immer wieder wird daher auch auf EU-Ebene darüber verhandelt, ob Ungarn noch die demokratischen Werte der EU vertritt. 

 

Das Logo der ID
Identity and Democracy - frei
  • Identität und Demokratie

Die ID ist ein Zusammenschluss aus nationalistischen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien. Sie wird radikaler als die EKR eingestuft und ist 2019 aus der davor bestehenden Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) hervorgegangen. Viele der vertretenen Parteien unterhalten offene Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen wie der Identitären Bewegung oder beschäftigen Rechtsextreme in den eigenen Reihen. Die italienische Lega ist mit 23 Abgeordneten die stimmenstärkste Partei der Fraktion. Während ihrer Regierungsbeteiligung in Italien bis 2019 vertrat sie eine nationalistische und migrationsfeindliche Politik – so wurden beispielsweise Aktivisten, die Menschen im Mittelmeer retteten, verhaftet. 

Auch die französische Rassemblement National (RN) unter Marine Le Pen gehört mit 18 Abgeordneten der Fraktion an. Aktuell ist die Politikerin beliebter denn je. Seit Jahren scheint sie kurz davor, in Frankreich mit ihrer rechtsnationalen Politik die Macht zu übernehmen - bei den nächsten Wahlen könnte es soweit sein. Eine rechte Regierung im größten Land der EU würde wohl die Stabilität in Europa massiv schwächen. Ebenso gehören alle 9 Abgeordnete der AfD und 3 Abgeordnete der FPÖ der Fraktion an. Mit diesen zwei Parteien und ihrer rechtspopulistischen Politik und ihren rechtsextremen Verbindungen befassen wir uns HIER und HIER ausführlich. 

Unterschiede der rechten Fraktionen EKR und ID

Laut aktuellen Prognosen werden beide Fraktionen bei den anstehenden EU-Wahlen Sitze dazugewinnen können. Jeweils könnten sie auf 80 bis 90 Sitze kommen. Zusammen könnten sie also knapp 180 der 705 Sitze stellen und damit rund ein Viertel der Abgeordneten. 

Von einer Mehrheit oder einer besonders einflussreichen Position sind die rechtsextremen Kräfte auf EU-Ebene weiterhin entfernt. Das liegt auch daran, dass sich die beiden Fraktionen bislang nicht zu einem einheitlichen Bündnis zusammenschließen konnten. Zwar wird immer wieder Interesse und Wille zur Zusammenarbeit bekundet, aber die inhaltlichen Differenzen machen das vorerst sehr schwierig. 

 

Eine Anti-EU Flagge
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So treten die beiden Fraktionen unterschiedlich radikal auf. Die ID wirbt für einen Austritt aus der EU – während die EKR nur für einen Umbau eintritt. Klare rassistische, islamophobe oder homophobe Positionen werden eher von der ID vertreten; die EKR versucht sich in der Öffentlichkeit gemäßigter zu präsentieren. Auch in Bezug auf den Ukraine-Krieg gibt es große Unterschiede. Während die AfD, die FPÖ oder die Rassemblement National Verbindungen nach Russland unterhalten, steht die polnische PiS-Partei oder die italienische Fratelli klar an der Seite der Ukraine

Zu Konflikten kommt es auch in Bezug auf die europäische Migrationspolitik. Zwar wollen alle rechten EU-Parteien die Fluchtbewegung nach Europa begrenzen bzw. unmöglich machen. Aber während die rechten Kräfte aus dem Süden eine gerechte Verteilung der Geflüchteten auf alle Länder Europas fordern, lehnen die PiS-Partei oder die ungarische Fidesz eine solche Aufteilung ab. 

Als bekannt wurde, dass im November 2023 AfD-Mitglieder bei einem Geheimtreffen über die millionenfache Abschiebung von Menschen mit Migrationshintergrund beraten hatten, distanzierte sich die Rassemblement National von der AfD. Auch die italienische Fratelli betonte die Differenzen zur AfD. Während sich Parteien wie die FPÖ oder die AfD zunehmend radikalisieren, versucht man in Italien oder Frankreich gemäßigter aufzutreten und rechtsextreme Parolen zu vermeiden, um die bürgerliche Wählerschaft zu erreichen. 

Ein weiterer Faktor, der eine umfassende Zusammenarbeit verhindert, ist der starke Bezug der rechten Parteien auf ihre nationalen Interessen. Das wird auch auf europäischer Ebene in den Vordergrund gestellt und verhindert eine gemeinsame Plattform. Zudem gibt es wie in Frankreich, Belgien oder Italien jeweils zwei rechte Parteien im EU-Parlament, die national um Wähler konkurrieren und daher auch in verschiedenen Fraktionen sitzen. 

Allerdings gibt es dennoch immer wieder Bestrebungen, die beiden Fraktionen zu vereinen, beispielsweise durch den ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orban. Fraktionsübergreifend eint, dass man eine starke Beschränkung der Einwanderung, eine Stärkung der Nationalstaaten oder eine Schwächung der europäischen Institutionen fordert. 

 

Der Zuwachs der rechten Parteien in Europa in Zahlen
statista 2023

Gründe und Gefahren des Rechtsrucks in der EU

Migrationsbewegungen, Finanzkrisen, Klimawandel, Pandemie, Kriege in Nahost und Ukraine und zunehmende soziale Ungleichheit: Die Menschen in Europa sind aktuell sehr verunsichert und haben Angst um ihre Existenz oder Familien. Das nutzen die rechten Parteien, um mit populistischen Parolen Unzufriedenheit zu schüren und Abschottung zu predigen. Denn die Ablehnung von Migration eint alle rechten Parteien Europas. Da ist es auch egal, dass man aufgrund des demografischen Wandels eigentlich auf Zuwanderung angewiesen ist, um in Europa den aktuellen Lebensstandard zu halten.

Gezielt werden da reale Ängste und Sorgen aufgegriffen und auf Feindbilder gelenkt, die einfach greifbar sind und die kaum eine Lobby haben, wie Geflüchtete, Muslime oder Sozialhilfeempfänger. Dabei werden die eigentlichen Ursachen von gesellschaftlichen Krisen bewusst umgangen oder verschleiert. Man verspricht den Nationalstaat als Schutzraum und propagiert eine vermeintliche Rückkehr in eine vergangene Zeit.

Ein Trugschluss, denn die vermittelte gute alte Welt wird beschönigt und existiert seit Jahrzehnten nicht mehr. Aber der Populismus wirkt und sorgt dafür, dass sich die Bevölkerung polarisiert und aufreibt. Intoleranz, Fake News und Hassrede nehmen zu. Das äußert sich auch in der zunehmenden Gewaltbereitschaft von Rechts und den alarmierend hohen Zahlen rechter Straftaten.

Da spielt auch rein, dass die etablierten gemäßigten Parteien, die lange Zeit die politische Macht ausübten, zunehmend hilflos und überfordert mit der Bewältigung von komplexen Herausforderungen scheinen. Man ist uneins über den Umgang und die Aufarbeitung der Covid-Pandemie, streitet über Waffenexporte und scheitert an der Umsetzung von Klimaschutz oder der Bekämpfung der sozialen Ungleichheit. Immer mehr offenbart sich dabei auch der enorme Einfluss von Lobbygruppen und Konzernen, die politische Entscheidungen lenken oder bestimmen. In ihrem Scheitern versuchen nun sogar sozialdemokratische oder christlich demokratische Parteien Positionen der Rechten zu übernehmen.

Der gesellschaftliche Diskurs verschiebt sich so nach rechts. Das merkt man, wenn SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz mehr Abschiebungen fordert oder sich die aktuellen Debatten um die Sanktionen des Bürgergeldes oder die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete anschaut. Eine Politik, die sich gegen gesellschaftliche Minderheiten richtet und diese laufend marginalisiert, anstatt die wirklichen Ursachen und Verursacher der sozialen Ungleichheit ins Visier zu nehmen. 

Auch der ÖVP-Bundeskanzler Nehammer versucht sich im Kampf mit der FPÖ, als Hardliner in Sachen Migrationspolitik zu etablieren. Dabei offenbart sich, woran rechtsextreme Gruppen wie die Identitäre Bewegung unter aktiver Unterstützung rechter Parteien schon lange arbeiten: Die Etablierung einer rechten Hegemonie. Das heißt, Diskurse von rechts so prägen oder vereinnahmen, dass die politische Macht nicht zwangsläufig notwendig ist, um gesellschaftliche Prozesse und Verhältnisse zu verändern.

 

Eine Demo für mehr Vielfalt
Flickr | BUND Bundesverband - CC BY-NC 2.0

Den EU-Rechtsruck verhindern

Es zeigt sich: Europa steht am Scheidepunkt. Zwar werden die rechten Parteien in der EU, trotz Zugewinne, wahrscheinlich nicht in die gewünschte Macht kommen, um deutlichen Einfluss auszuüben. Aber die deutlichen Erfolge der rechten Parteien auf nationaler Ebene überall in Europa sollten stark zu denken geben. Denn sie nutzen ihren steigenden Einfluss, um das gesellschaftliche Klima zu vergiften und dort politische Diskurse bereits in eine menschenfeindliche und hasserfüllte Richtung zu lenken.

Um da etwas entgegenzusetzen, braucht es eine gemeinsame Anstrengung. Klimakrise, Kapitalismus, Kriege: Die Herausforderungen sind groß und komplex – und während die rechten Parteien scheinbar einfache Lösungen dafür präsentieren, scheitern progressive Parteien an konkreten Ansätzen. Auf lange Sicht braucht es aber Pläne, die Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz beinhalten, um nachhaltig gesellschaftlichen Frieden für einen Großteil der Bevölkerung herzustellen.

Bessere Welt Info steht für ein weltoffenes und solidarisches Europa, das für Inklusion, Nachhaltigkeit und Frieden steht - und nicht für Ausgrenzung und Hass. Mit Sorge betrachten wir den zunehmenden Rechtsruck, denn ein rechtes Europa wird kaum humanistische Werte vertreten – eher das Gegenteil. Wir fördern Programme der politischen Bildung und Demokratie und unterstützen Bewegungen, die sich für ein progressives, liberales und soziales Europa einsetzen.

Autor: Maximilian Stark 22.04.24, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0

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