Grundgesetz
➡️ 75 Jahre Grundgesetz – Eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Verfassung
Das Deutsche Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. Es trat am 23. Mai 1949 in Kraft – dieses Jahr feiert sie bereits den 75. Geburtstag. Dabei bildet es die rechtliche und politische Grundordnung des Landes und legt wesentliche Prinzipien wie die Trennung der Gewalten, den föderalen Aufbau des Staates, die Grundrechte der Bürger sowie die Regeln für die Gesetzgebung und Rechtsprechung fest.
Die Notwendigkeit des Grundgesetzes ergab sich aus der politischen und gesellschaftlichen Krise nach dem Zweiten Weltkrieg. Deutschland benötigte eine demokratische Ordnung, um das Land wiederaufzubauen und zu stabilisieren. Nach der Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen beschlossen die Westalliierten 1948, in ihren Zonen einen demokratischen Staat zu gründen. Der Parlamentarische Rat, bestehend aus 65 Vertretern westdeutscher Länder, wurde beauftragt, eine Verfassung zu erarbeiten.
Unter der Leitung von Konrad Adenauer und unter Berücksichtigung der Fehler der Weimarer Republik und den Erfahrungen der NS-Diktatur wurde das Grundgesetz ausgearbeitet. Ursprünglich als Provisorium gedacht, blieb es nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 bestehen und hat sich als stabile und flexible Verfassung bewährt.
Seit 1949 wurden auch einige Änderungen oder Ergänzungen vorgenommen. Eine der bedeutendsten Veränderungen erfolgte im Zuge der Wiedervereinigung im Jahr 1990. Artikel 23, der ursprünglich den Beitritt weiterer Teile Deutschlands zum Geltungsbereich des Grundgesetzes regelte, wurde gestrichen und durch eine neue Fassung ersetzt, die die Beteiligung Deutschlands an der Europäischen Union regelt.
Ein weiterer wichtiger Schritt war 1994 die Aufnahme des Umweltschutzes in das Grundgesetz. Artikel 87a, eingeführt 2001, ermöglicht den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus. Die Gleichstellung und Antidiskriminierung wurden durch die Erweiterung von Artikel 3 um Absatz 3 Satz 2 im Jahr 1994 gestärkt, der besagt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf. Die Bürgerrechte wurden ebenfalls gestärkt, beispielsweise durch die Ergänzung von Artikel 10 im Jahr 1968, die den Schutz des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses betrifft.
Was steht im Grundgesetz?
Ein wichtiger Aspekt des Grundgesetzes ist die Sicherung der Grundrechte (Artikel 1-19). Es garantiert eine Reihe von unveräußerlichen Rechten, die die Freiheit und Würde des Einzelnen schützen, wie beispielsweise die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Religionsfreiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit.
Diese Grundrechte bilden die Basis für ein demokratisches Zusammenleben. Darüber hinaus regelt das Grundgesetz die föderale Struktur Deutschlands, indem es die Beziehungen zwischen dem Bund und den einzelnen Bundesländern definiert und eine ausgewogene Verteilung der Macht sicherstellt. Insgesamt stellt das Grundgesetz sicher, dass Deutschland als demokratischer und rechtsstaatlicher Bundesstaat funktioniert, der die Grundrechte seiner Bürger schützt und eine stabile politische Ordnung gewährleistet.
Nach einer repräsentativen Umfrage von infratest dimap finden 75 Prozent der Deutschen das Grundgesetz gut bis sehr gut – nur 4 Prozent finden es nicht gut. Doch 50 Prozent machen sich auch aktuell Sorgen und sehen die Demokratie in Deutschland durch extreme politische Kräfte bedroht. Die Bundespartei AfD könnte als rechtsextremer Verdachtsfall bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg jeweils als stimmenstärkste Partei gewinnen.
Schützt das Grundgesetz die Demokratie?
Dahingehend stellt sich auch die Frage, inwieweit das Grundgesetz die Demokratie schützen kann. Bislang enthält es zumindest verschiedene Mechanismen und Bestimmungen, die diesem Ziel dienen. Ein zentraler Aspekt ist dabei der umfassende Grundrechtekatalog, der die individuellen Freiheiten und die demokratische Grundordnung schützt. Diese Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht und binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung.
Ein weiterer wichtiger Schutzmechanismus ist die sog. Ewigkeitsklausel in Artikel 79 Absatz 3, die grundlegende Prinzipien wie die Menschenwürde, die Demokratie, den Rechtsstaat und den föderalen Aufbau der Bundesrepublik vor jeglicher Änderung schützt. Diese Bestimmungen können nicht abgeschafft oder verändert werden, was einen starken Schutz gegen autoritäre Tendenzen bietet.
Das Bundesverfassungsgericht spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle zum Schutz der Demokratie. Es kann Gesetze und staatliche Maßnahmen auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen und gegebenenfalls für nichtig erklären. Dadurch fungiert es als Hüter des Grundgesetzes und sorgt dafür, dass die Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaats gewahrt bleiben.
Darüber hinaus enthält das Grundgesetz spezielle Regelungen für den Verteidigungsfall und den inneren Notstand (Artikel 115a bis 115l), die es ermöglichen, staatliche Handlungsfähigkeit auch in extremen Krisensituationen aufrechtzuerhalten, ohne die demokratische Ordnung zu gefährden. Diese Bestimmungen sorgen dafür, dass notwendige Maßnahmen ergriffen werden können, um die Sicherheit und den Fortbestand des Staates zu gewährleisten, während gleichzeitig die Grundrechte der Bürger geschützt bleiben.
Was muss am Grundgesetz verbessert werden?
Die föderale Struktur Deutschlands, die im Grundgesetz verankert ist, wird häufig kritisiert, da die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern oft zu ineffizienter Verwaltung und Doppelarbeit führt. Besonders in Bereichen wie Bildung, Polizei und Gesundheitspolitik gibt es Überschneidungen und uneinheitliche Regelungen.
Diese Unterschiede führen zu ungleichen Lebensverhältnissen zwischen den Bundesländern, was soziale Ungleichheit fördert. Nach wie vor ist der Lohn- und Rentenunterschied zwischen Ost und West nachweisbar und hat Auswirkungen auf Lebensqualität, Aufstiegschancen oder infrastrukturelle Entwicklungen.
Zudem kann der Bundesrat, als Vertretung der Länder, Bundesgesetze blockieren, was oft zu langwierigen Verhandlungen und Verzögerungen bei wichtigen Reformen führt. Die Umsetzung bestimmter energiepolitischer Maßnahmen, wie beispielsweise die Reform des EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) oder die Umsetzung der Energiewende, wurde durch den Bundesrat verzögert. Auch die Einführung eines einheitlichen Bildungsgesetzes auf Bundesebene oder Reformen zur Neuverteilung der Finanzmittel zwischen Bund und Ländern scheiterten wiederholt an Blockaden des Bundesrates.
Vor allem mit dem Erstarken rechtsextremer Kräfte wird zudem gefordert, dass das Bundesverfassungsgericht stärker gegen den Zugriff von Parteien abzusichern ist. Aktuell kann man das Bundesverfassungsgerichtsgesetz mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag ändern. Auch das Budget des Verfassungsgerichts oder die Amtszeit der Richter können leicht verändert werden. Wie schnell sich die Justiz umbauen lässt, hat sich in Ungarn oder Polen gezeigt.
Mehr Demokratie, Bildung und Klimaschutz ins Grundgesetz
Im Bundestag wird bereits lange darüber diskutiert, ob Kinderrechte auch im Grundgesetz Platz finden sollen oder ob man das Wort "Rasse" aus dem Text streicht. Auch über die Verankerung von Klimaschutz in der Verfassung wird beraten – das Bundesverfassungsgericht hatte jedenfalls 2021 die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz gemahnt, sonst verstoße sie gegen das Grundgesetz.
Doch nachhaltige politische Maßnahmen lassen bislang auf sich warten, auch das Recht auf Bildung wurde noch nicht umgesetzt. Die Schuldenbremse ist im Artikel 115 des Grundgesetzes verankert, stößt aber zunehmend auf Kritik, weil sie verhindert, dass wichtige soziale oder klimapolitische Ziele erreicht werden. Eine Reform wäre dringend notwendig.
Auch die Grundrechte im Grundgesetz sind Gegenstand der Diskussion. Beispielsweise wird der Schutz der Privatsphäre angesichts moderner Überwachungstechnologien als unzureichend empfunden. In Zeiten von Terrorismus und Internetkriminalität wird zudem das Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit immer wieder thematisiert.
Manche Stimmen fordern stärkere Sicherheitsmaßnahmen, während andere die Wahrung der Grundrechte betonen und zu viel staatlichen Eingriff fürchten. Das Grundgesetz wird in dem Zusammenhang auch als Steuerungselement der herrschenden Klasse wahrgenommen, das die Exekutive immer wieder auch umdeutet oder dagegen verstößt – sei es bei der aktuellen Haushaltsdebatte oder bei der Legitimierung von Polizeigewalt. Parteien, die im selbst erklärten Rechtsstaat mit Strafe und staatlicher Gewalt arbeiten, anstatt sich an die eigenen Gesetze zu halten.
Ein Beispiel dafür ist der erfolgreiche Volksentscheid "Deutschen Wohnen und Co. enteignen" von Berlin 2021. Dort müssten nun eigentlich Wohnungen von großen Immobilienfirmen wieder in Gemeineigentum umgewandelt werden, um leistbares Wohnen zu ermöglichen. Doch die regierenden Parteien weigerten sich bislang, den verfassungsgerechten Volkswillen umzusetzen (nd 2024).
Dabei sind es immer wieder Menschenrechtsorganisationen oder Aktivisten, die durch strategische Klagen versuchen, den Rahmen des Grundgesetzes zu verteidigen oder zu erweitern. Ein großer Erfolg stellt neben dem Urteil für mehr Klimaschutz auch die gewonnene Klage gegen das BND-Gesetz dar. Das Urteil besagt, dass sich der BND auch im Ausland an das Grundgesetz halten und die digitale Überwachung regulieren muss.
Das Zensurverbot im deutschen Grundgesetz garantiert die Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit und stellt klar, dass eine Zensur nicht stattfindet.Trotz des Zensurverbots gibt es Gesetze, die die Meinungsfreiheit einschränken, wie die Bestimmungen gegen Verleumdung und Beleidigung im Strafrecht. Diese können potenziell auch missbraucht werden, um unliebsame Meinungen zu unterdrücken. Die Medienlandschaft in Deutschland ist zwar pluralistisch, doch wirtschaftlicher Druck und Konzentrationstendenzen beeinflussen die Berichterstattung.
Das Friedensgebot im Grundgesetz Artikel 26 verbietet Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker stören, wird aber durch militärische Auslandseinsätze und umfangreiche Rüstungsexporte infrage gestellt. Kritiker sehen diese Einsätze und Exporte als Widerspruch zum Friedensgebot, da sie Konflikte fördern und die Definition von Verteidigung und Angriffskriegen interpretierbar ist.
"Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen." - Art 26 GG
Weitere Stimmen merken an, dass das Grundgesetz ursprünglich als Provisorium gedacht war und mittlerweile modernisiert werden müsste, um aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht zu werden. Da wird auch die fehlende Perspektive Ostdeutschlands kritisiert. Mit der Wiedervereinigung wurde eine historische Chance verpasst, mit den Ideen aus Ost und West eine neue Verfassung zu schreiben. Stattdessen blieb die Verfassung einseitig und stülpte dem Osten ein vorgefertigtes Grundgesetz über – eine westdeutsche Attitüde, die auch heute noch in Ostdeutschland sauer aufstößt, wenn es um politische Entscheidungsprozesse geht.
Das Grundgesetz vor Rechtsextremismus schützen
Das Grundgesetz ist eindeutig eine wichtige Errungenschaft und dass es bereits seit 75 Jahren existiert, ist ein Zeugnis für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Dies zu bewahren, ist aktuell wichtiger denn je. Überall auf der Welt nehmen autoritäre oder rechtsextreme Tendenzen zu und sie bedrohen demokratische Prozesse aktiv. In Ungarn, der Türkei, Russland oder Polen hat sich gezeigt, wie Parteien demokratische Prozesse untergraben, indem sie die Gewaltenteilung schwächen, die Unabhängigkeit der Justiz gefährden, Wahlen manipulieren oder die Meinungs- und Pressefreiheit einschränken.
Zudem widersprechen autoritäre und rechtsextreme Ideologien oft den in der Verfassung festgelegten Grundrechten, da sie bestimmte Gruppen aufgrund von Ethnie, Religion, sexueller Orientierung oder politischer Überzeugung diskriminieren und ausgrenzen. Statt Freiheit und gesellschaftlicher Pluralismus streben sie oft nach einer homogenen Gesellschaft, die auf Ausgrenzung und Intoleranz basiert.
Trotz aller Schutzmechanismen ist unser Grundgesetz letztlich auch auf die aktive Verteidigung durch die Bürger und die politischen Akteure angewiesen. Eine funktionierende Demokratie erfordert das Engagement und die Wachsamkeit aller Beteiligten, um die im Grundgesetz verankerten Werte und Prinzipien zu bewahren und gegen Bedrohungen zu verteidigen. Insgesamt bietet das Grundgesetz zwar eine robuste Grundlage für den Schutz der Demokratie, doch seine Wirksamkeit hängt auch von der Bereitschaft der Gesellschaft ab, diese Werte aktiv zu verteidigen.
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Autor: Maximilian Stark 23.05.24, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0
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