Wiedereinführung der Wehrpflicht

Eine Gruppe junger Bundeswehr-Soldaten
Flickr | Rudi401 - CC BY-NC 2.0

➡️ Die Wiedereinführung der Wehrpflicht

Deutschland rüstet auf. Mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro und einem regulären Verteidigungshaushalt von 62 Milliarden Euro jährlich, steuert man auf eine dauerhafte Militarisierung der Politik und der Gesellschaft zu. Allein 2025 stehen der Truppe damit insgesamt über 86 Milliarden Euro zur Verfügung – so viel wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik.

Zusätzlich soll die Wehrpflicht ab Juli 2027 in einer neuen Form wieder eingeführt werden (Wehrdienst-Modernisierungsgesetz): Alle jungen Männer eines Jahrgangs werden dann verpflichtend gemustert, Frauen können sich freiwillig melden. Auf Basis eines Fragebogens und ärztlicher Untersuchungen entscheidet die Bundeswehr, wer tatsächlich eingezogen wird; zunächst bleibt der Dienst freiwillig, bei Personalmangel ist jedoch eine verpflichtende Einberufung mit Losverfahren vorgesehen. Rekruten erhalten während ihres Dienstes eine Grundvergütung von rund 2.600 Euro brutto pro Monat (das sind ca. 1.800 Euro netto), dazu kommen freie Unterkunft, Verpflegung, Krankenversicherung sowie Anspruch auf Übergangsbeihilfen und Vorteile bei späteren Bewerbungen im öffentlichen Dienst oder bei sicherheitsrelevanten Berufen.

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Tipp: Unser Ratgeber zu ➡️ Schulstreik und Aktionstag gegen die Wehrpflicht am 5. Dezember

Diese Entwicklung ist Teil einer umfassenden Strategie, die sogenannte „Kriegstüchtigkeit“ der Gesellschaft herzustellen. Neben der Aufrüstung der Streitkräfte umfasst das auch zivile Bereiche: Im Gesundheitswesen werden Notfallpläne für die Versorgung im Kriegsfall entwickelt, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sollen krisenfester und militärisch kompatibler werden. Schulen und Universitäten nehmen sicherheitspolitische Themen verstärkt in Lehrpläne auf, und auch bei der Energieversorgung oder in der Infrastruktur wird zunehmend mit Szenarien großflächiger militärischer Auseinandersetzungen gerechnet. Damit verschiebt sich die Grenze zwischen zivilem Alltag und militärischer Logik – mit weitreichenden Folgen für das Selbstverständnis einer bislang eher friedensorientierten Gesellschaft.

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Eine Statistik zur Zustimmung zur Wehrpflicht in Deutschland
statista 2025

Die Wehrpflicht und ihre Folgen

Seit der Aussetzung 2011 stützt sich die Bundeswehr auf freiwillig dienende Soldaten. Aktuell umfasst sie 181.500 aktive Kräfte, bis 2031 soll der Bestand allerdings auf 203.000 steigen. Eine allgemeine Wehrpflicht könnte zwar kurzfristig zusätzliche Rekruten bereitstellen, würde jedoch enorme ökonomische und gesellschaftliche Kosten verursachen.

Sozial betrachtet wird die Wehrpflicht tief in die Lebensläufe junger Menschen eingreifen: Millionen von Schulabgängern müssen ihre Ausbildung oder ihr Studium verschieben, was nicht nur individuelle Einkommensverluste nach sich zieht, sondern auch gesamtgesellschaftlich den Fachkräftemangel verschärft. Schon heute fehlen in Deutschland laut Institut der deutschen Wirtschaft rund 600.000 Fachkräfte – eine zusätzliche Verzögerung beim Berufseinstieg würde dieses Problem verschärfen. Hinzu kommt ein Gerechtigkeitsproblem: Da kapazitätstechnisch kaum ein kompletter Jahrgang eingezogen werden kann, werden manche einen Dienst leisten müssen - andere nicht. Das könnte gesellschaftliche Spannungen verstärkt.

Ökonomisch ist die Wehrpflicht ein enormer Kostenfaktor. Das ifo-Institut beziffert die volkswirtschaftlichen Kosten auf bis zu 70 Milliarden Euro jährlich, sollte ein ganzer Jahrgang herangezogen werden. Selbst ein reduziertes Modell mit etwa 25 % eines Jahrgangs würde noch 17 Milliarden Euro pro Jahr an Wertschöpfung kosten – zusätzlich zu 3,2 Milliarden Euro direkten Staatsausgaben. Diese Mittel fehlen an anderer Stelle: in der Bildung, in der Gesundheitsversorgung oder bei dringend nötigen Investitionen in die ökologische Transformation. Eine Wehrpflicht wird damit nicht nur Milliarden verschlingen, sondern diese auch von Bereichen abziehen, die die soziale Stabilität des Landes sichern.

Hinzu kommt, dass die Infrastruktur für eine Wehrpflicht – Musterungsstellen, Kasernen, Ausbildungseinrichtungen – seit über zehn Jahren zurückgebaut ist und erst teuer wiederaufgebaut werden muss. Ohne parallele Investitionen in moderne Ausrüstung, bessere Ausbildung und attraktive Arbeitsbedingungen bleibt der Nutzen ohnehin begrenzt und führt nicht automatisch zu mehr Einsatzbereitschaft der Bundeswehr.

Politisch fällt die Debatte in eine Zeit, in der das Verteidigungsbudget massiv wächst. Allein 2024 ist der gesamte Verteidigungshaushalt auf über 72 Milliarden Euro gestiegen, womit Deutschland zu den größten Militärinvestoren weltweit zählt und das NATO-Fünf-Prozent-Ziel deutlich anpeilt. Während Befürworter wie die aktuell regierende CDU unter Friedrich Merz dies als notwendige Antwort auf globale Unsicherheiten darstellen, sehen Kritiker von der Linkspartei oder dem BSW darin eine bedenkliche Verschiebung politischer Prioritäten: Mehr Geld für Waffen und militärische Strukturen bedeutet zwangsläufig weniger Spielraum für soziale Gerechtigkeit, Entwicklungszusammenarbeit oder zivile Konfliktprävention.

Zwei Freiwillige helfen einem Mann mit Halskrause
Flickr | BFKDO Braunau am Inn - CC BY-NC 2.0

Alternativen zur Wehrpflicht

Doch Sicherheit entsteht nicht allein durch mehr Soldaten und Panzer. Angesichts globaler Krisen – von Klimawandel über Pandemien bis hin zu sozialer Ungleichheit – besteht die eigentliche Herausforderung darin, gesellschaftliche Resilienz zu stärken, nicht die Zahl der Rekruten. Kritisch betrachtet ist die Rückkehr zur Wehrpflicht deshalb kein geeignetes Mittel, um die Sicherheit Deutschlands langfristig zu gewährleisten. Sie verursacht enorme Kosten, verschärft soziale Ungleichheiten und zementiert gleichzeitig den Kurs hin zu einer stärker militarisierten Gesellschaft – während zentrale zivilgesellschaftliche Aufgaben weiter vernachlässigt werden.

Eine Rückkehr zur Wehrpflicht ist nicht die einzige Möglichkeit, um die Bundeswehr personell zu stärken oder die Gesellschaft krisenfester zu machen. Sinnvolle Alternativen liegen vor allem in einer Attraktivitätssteigerung des freiwilligen Dienstes. Dazu gehören bessere Bezahlung, modernere Karrierewege und eine klare Vereinbarkeit mit Ausbildung und Familie. Studien vom ifo Institut zeigen, dass dies langfristig kosteneffizienter und motivierender wäre, da Freiwillige in der Regel stärker an einer militärischen Laufbahn interessiert sind als kurzfristig verpflichtete Wehrdienstleistende.

Darüber hinaus lässt sich der freiwillige Wehrdienst ausbauen: Kürzere und flexiblere Einstiegsmöglichkeiten, kombiniert mit Optionen zur Verlängerung, würden mehr Menschen ansprechen. Parallel könnte das Reservistenwesen gestärkt werden, sodass im Ernstfall schnell zusätzliche Kräfte bereitstehen, ohne dass ganze Jahrgänge zwangsverpflichtet werden. Ein weiterer Ansatz sind freiwillige Gesellschafts und Freiwilligendienste, die nicht nur militärisch, sondern auch im Katastrophenschutz, bei Feuerwehr, THW oder in sozialen Einrichtungen geleistet werden können. Mit attraktiven Anreizen wie Studienplatzgarantien, Ausbildungsboni oder Rentenvorteilen ließe sich hier ein breites Spektrum an Engagement fördern.

Statt also auf Zwang zu setzen, könnten flexible, attraktive Modelle sowohl den Verteidigungsinteressen dienen als auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken – und das ohne die hohen volkswirtschaftlichen Kosten und sozialen Spannungen, die mit einer Wiedereinführung der Wehrpflicht verbunden wären.

Nein zum Wehrdienstgesetz. Protest vor dem Bundesverteidigungsministerium in Berlin, 27.08.2025
Flickr | IPPNW Deutschland - CC BY-NC-SA 4.0

Gegen die weltweite Militarisierung und Aufrüstung

Die Debatte um eine Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern steht im Kontext einer weltweiten Aufrüstungsspirale - nicht zuletzt seit dem russischen Krieg in der Ukraine. Laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI stiegen die globalen Militärausgaben 2024 auf einen historischen Höchstwert von rund 2,7 Billionen US-Dollar – ein Anstieg um fast 10 % gegenüber dem Vorjahr. Egal ob Russland, China oder die NATO-Staaten: Überall wird Aufrüstung und Militarisierung vorangetrieben, während soziale, friedenspolitische und zivilgesellschaftliche Initiativen das Nachsehen haben.

Aus der Friedensbewegung und zivilgesellschaftlichen Organisationen gibt es daher deutliche Kritik an den Plänen der Bundesregierung zur Wiederbelebung der Wehrpflicht. Michael Schulze von Glaßer von der Deutschen Friedensgesellschaft etwa warnt, die Regierung betreibe eine „Salamitaktik“: Zunächst werde „locker mit Fragebögen begonnen, wenn die aber – was absehbar ist – nicht genügend neue Rekruten bringen, werden die Daumenschrauben angedreht“.

Auch aus der Wohlfahrt kommt Widerspruch: Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa kritisiert, Verteidigungsminister Boris Pistorius vergesse mit seinen Plänen die zivilen Freiwilligendienste, die für die Gesellschaft ebenso wichtig seien. Friedensaktivisten wie die Politikwissenschaftlerin Julia Engels sehen zudem in dem „Verpflichtungsmodell mit Wahloption“ nichts anderes als die schrittweise Reaktivierung eines Instruments, das aus guten Gründen ausgesetzt worden sei. Statt auf Aufrüstung und Zwang setze man auf Prävention, Diplomatie und internationale Zusammenarbeit, um Sicherheit zu schaffen – ein Ansatz, der in der aktuellen Politik jedoch zunehmend in den Hintergrund zu geraten droht.

Friedliche Alternativen liegen längst auf dem Tisch: Statt Milliarden in Panzer und Zwangsdienste zu investieren, könnten Staaten ihre Ressourcen in internationale Diplomatie, Konfliktprävention, Klimaschutz, Entwicklungszusammenarbeit und Zivile Verteidigung lenken. Auch in Deutschland ließe sich die Resilienz der Gesellschaft durch freiwillige Dienste im Katastrophenschutz, im sozialen Bereich oder in der politische Bildung stärken. Solche Ansätze würden junge Menschen einbinden, ohne sie zu verpflichten, und gleichzeitig das Gemeinwesen stabilisieren.

Sie knüpfen an das Konzept der Gemeinsamen Sicherheit an, das davon ausgeht, dass nachhaltige Sicherheit nicht durch militärische Stärke einzelner Staaten, sondern nur durch Kooperation, Vertrauen und gemeinsame Lösungen erreicht werden kann. Angesichts der globalen Herausforderungen wäre es ein deutliches politisches Signal, nicht auf noch mehr Aufrüstung und Wehrpflicht zu setzen, sondern auf zivile Stärke, internationale Kooperation und die konsequente Förderung von Friedensarbeit.

Autor: Maximilian Stark 23.09.25, lizenziert unter CC BY-SA 4.0

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