Eine Demonstration der IB in Wien
Wiki | Ataraxis1492 - CC BY-SA 3.0

Wer ist die ➡️ Identitäre Bewegung? - Strategien, Ideologie und Aktionen

Spätestens seit dem Geheimtreffen in Potsdam und der Teilnahme von Martin Sellner aus Österreich ist die Identitäre Bewegung (IB) wieder in aller Munde. Dabei ist die Nähe des rechten Vordenkers Sellner und anderen IB-Aktivisten zu politischen Parteien wie der FPÖ oder der AfD nichts Neues. Im Gegenteil: Seit Jahren formiert sich eine rechte Bewegung von der Straße bis ins Parlament. Die Vision der „Mosaikrechten" beschwört eine rechte Konterrevolution, die alle rechten Strömungen vereint und gesellschaftliche Narrative verändert, hin zu einem Klima der Abschottung, Ausgrenzung und Spaltung.

Die Identitäre Bewegung ist dabei für den Aktivismus auf der Straße zuständig. Sie besetzen Moscheen, stören antifaschistische Demos oder attackieren ein Geflüchteten-Theaterstück mit Kunstblut. Ideologisch werden sie der Neuen Rechten zugeordnet, die sich nicht mehr direkt auf den Nationalsozialismus beziehen, sondern den Ethnopluralismus propagiert. Dahinter steht gleichwohl Sozialdarwinismus und ein "modernisierter" Rassismus. Die Gruppe wird europaweit als rechtsextrem gelistet.

Bessere Welt Info befasst sich kritisch mit der Identitären Bewegung. Wir schauen auf die vertretene Ideologie, wichtige Merkmale der Bewegung und ihre Handlungsstrategien. Daneben befassen wir uns auch mit den Verbindungen zu anderen rechtsextremen Organisationen oder auch Parteien.

 

Eine Statistik zu rechten Straftaten in Deutschland bis 2022
statista 2023

Die Identitäre Bewegung als Teil der Neuen Rechten

Gegründet wurde die IB 2012 in Frankreich. In den folgenden Monaten gründeten sich Ableger in verschiedenen europäischen Ländern, darunter Österreich und Deutschland. Als Vorbild fungierte die Casa-Pound-Bewegung in Italien, die sich bereits 2003 gründete und linke Aktionsformen wie Hausbesetzungen, Stil und Rhetorik nutzte, um neofaschistische Politik zu betreiben. 

Das Ziel dieser Bewegungen: Den aktionistischen Arm der Neuen Rechten bilden. Die Neue Rechte entstand als Gegenprogramm zur 68er-Bewegung und bezieht sich auf das Konzept der „Konservativen Revolution“. Dahinter steht die Idee eines antiliberalen und antiegalitären Kurses, der sich an Attributen wie „Elite, Führung, Gott, Nation, Natur, Ordnung, Rasse und Volksgemeinschaft“ orientiert (bpb 2019). 

Die Neue Rechte grenzt sich in ihrer Ideologie auch von der Alten Rechten und ihrem Bezug zum Nationalsozialismus ab. Kernpunkte der IB-Ideologie sind die Vorstellung von getrennten ethnischen Gruppen, die in eigenen kulturellen und territorialen Räumen existieren sollten, sowie die Ablehnung von Multikulturalismus. Der Ethnopluralismus, eine zentrale Komponente, beinhaltet die Überzeugung, dass die Bewahrung der kulturellen und ethnischen Identität Europas durch die Begrenzung von Migration und die klare Abgrenzung verschiedener ethnischer Gruppen erreicht werden sollte. Völker werden als homogene Gruppen betrachtet und Menschen vordergründig über ihre ethnische Herkunft definiert. In der Rassismusforschung wird dies als „Rassismus ohne Rassen" bezeichnet. 

Die neurechten Ansätze, die von Akteuren wie dem „Institut für Staatspolitik“ des Rechten Götz Kubitschek, den rechten Medien „Blaue Narzisse“ oder „Compact“ oder der Initiative „Ein Prozent“ theoretisch entworfen werden, trägt die IB auf die Straße. Obwohl man versucht, sich intellektuell und gewaltfrei zu inszenieren, gab es in der Vergangenheit wiederholt gewalttätige Übergriffe gegen politische Gegner und auch im Netz posiert man regelmäßig bei Box- und Kampfsportübungen. Dahingehend lohnt sich auch ein Blick auf die konstant hohen Zahlen rechter Straf- und Gewalttaten in Deutschland.

 

Rechtsextremismus, Nationalismus und Antisemitismus

Obwohl sie sich vom klassischen Neonazismus versuchen abzugrenzen, ist die Gruppe klar rechtsextrem und wird vom Verfassungsschutz in Deutschland und Österreich überwacht. In Frankreich wurde die Gruppe 2021 verboten. In Österreich kam es 2018 zu mehreren Hausdurchsuchungen; der Vorwurf lautete Bildung einer kriminellen Vereinigung. 2019 wurde die Wohnung von Martin Sellner in Wien erneut durchsucht; Grund war eine höhere Geldspende, die der IB-Aktivist vom rechten Christchurch-Attentäter erhalten hatte. 

Ein weiteres zentrales Element ist eine Haltung gegen Multikulturalismus, die darauf abzielt, die vermeintlich drohende Verwässerung der eigenen kulturellen Identität durch die Koexistenz verschiedener Kulturen zu verhindern. Die IB lehnt Einwanderung, insbesondere aus nicht-europäischen Ländern, vehement ab und sieht darin eine Bedrohung für die kulturelle Homogenität und den sozialen Zusammenhalt in Europa.

In weiterer Folge werden auch globalisierungs- und kapitalismuskritische Positionen eingenommen, weil die durch die Globalisierung ausgelöste Migration die kulturelle "Vermischung" befördern würde. Auch antisemitische Positionen werden, wenn auch niederschwellig, vertreten, so verglich der führende IB-Aktivist Alexander Markovics, die Fluchtbewegung nach Europa mit dem Holocaust. Beides sei „Völkermord" – das Opfer der Fluchtbewegung wäre daher die „autochthone" Bevölkerung Europas (Correctiv 2021).

Der Nationalismus bildet einen weiteren Eckpfeiler der Ideologie. Die IB betont die Wichtigkeit nationaler Souveränität und lehnt supranationale Organisationen wie die Europäische Union ab. Die Bewegung setzt sich für eine Rückkehr zu nationalen Grenzen und Identitäten ein.

 

Eine Demonstration der IB in Wien
Flickt | Ivan Radic - CC BY 2.0

Rechter Aktionismus und Jugendkultur

Ein weiterer Aspekt ist der Kampf gegen den vermeintlichen "kulturellen Marxismus". Die Identitären behaupten, dass eine linksgerichtete Ideologie ihre Kultur und Tradition untergrabe, und betrachten sich selbst als Verteidiger gegen diese kulturelle Bedrohung. Man vertritt konservative Werte und wirbt für traditionelle Familien- und Geschlechterrollen.

Dabei zeichnet sich die IB durch Merkmale wie Jugendlichkeit, Aktionismus, Popkultur und „Corporate Identity" aus. Die Mitglieder der Bewegung sind durchschnittlich zwischen 15 und 35 Jahre alt. Der Aktionismus steht im Vordergrund des politischen Handelns. Immer wieder werden medienwirksam Demonstrationen gestört, Interventionen im öffentlichen Raum ausgeführt oder Gebäude besetzt. In Wien wurde 2014 eine IS-Hinrichtung im öffentlichen Raum inszeniert; in Frankreich stürmten IB-Aktivisten maskiert mit Schweineköpfen muslimische Geschäfte. 2017 charterte die IB ein Schiff, um im Mittelmeer Rettungsmissionen zu stören. 

Das Element der Popkultur ergibt sich durch Merchandise wie dem Modelabel Phalanx Europa, der Medienagentur Okzident Media oder auch eigener Musik als Teil der Kommunikationsstrategie. Die „Corporate Identity" ergibt sich durch die einheitliche Symbolik. Das Logo der Bewegung, ein gelbes Lambda-Zeichen auf schwarzem Grund, wird länderübergreifend verwendet. Auch Kampagnen werden europaweit initiiert und Kampfbegriffe wie „Defend Europe“ oder „Reconquista“ geprägt, die für die vermeintliche Befreiung Europas vom Multikulturalismus und dem Islam stehen. 

 

Vernetzung im Internet und auf der Straße 

Das Internet und die sozialen Medien spielen dabei eine sehr wichtige Rolle. Zwar wurden 2020 umfangreich die Konten der Bewegung auf Facebook, YouTube und Twitter gesperrt, doch mit der Twitter-Übernahme durch Elon Musk sind viele der IB-Aktivisten auf die Plattform zurückgekehrt. Daneben werden vor allem TikTok und Telegram-Kanäle genutzt; dort wird die Bewegung deutlich weniger überwacht. Martin Sellner erreicht auf seinen Telegram-Account über 65.000 Menschen.

Doch auch außerhalb des Internets sind sie aktiv. Immer wieder erwirbt die Bewegung Häuser. Zuletzt in Schkopau oder in Chemnitz. Die Übernahme von Schloss Reinsberg in Sachsen scheiterte 2019 nur, weil Medien über die rechten Kaufinteressenten berichteten. Davor unterhielt man jahrelang ein Hausprojekt in Halle. Dieses Projekt hatte auch Modellcharakter für die neurechte Bewegung. Denn es fungierte als Drehkreuz zwischen dem rechten Think-Tank „Institut für Staatspolitik", der Burschenschaft Germania, dem rechten Verein „Ein Prozent" und der AfD. Denn das Haus wurde von der Stiftung eines AfD-Politikers gekauft; der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider unterhielt im Haus zudem ein Büro. 

Diese Orte sind wichtige Vernetzungs- und Organisationspunkte der rechten Szene, die mittlerweile von der Straße bis ins Parlament agiert. Die personellen Verbindungen zwischen den verschiedenen rechten Vororganisationen, dem AfD-Nachwuchsverein Junge Alternative und der Mutterpartei AfD sind allgegenwärtig und werden zunehmend offener gepflegt. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich auf der parteipolitischen Ebene von der IB distanzierte. Der Kurs steht auf Schulterschluss für eine umfassende rechte Bewegung. 

 

Sticker der Identitären Bewegung auf einem Schild bei einer AfD-Demo in Freilassing
Wiki | Metropolico.org - CC BY-SA 2.0

Die Verbindungen zu AfD und FPÖ

Die Verbindungen zwischen IB und der AfD oder auch der FPÖ sind zahlreich. Als 2023 das identitäre Hausprojekt in Chemnitz eröffnet wird, waren bei der Einweihungsfeier mehrere JA-Bundes- und Landesvorstände vor Ort. Selbst der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp war nachweislich Teil der Veranstaltung.  

Der Bundestagsabgeordnete Jan Wenzel beschäftigt den vorbestraften Rechtsextremisten und IB-Aktivisten Mario Müller in seinem Büro. Die JA-Chefin von Brandenburg trifft sich regelmäßig mit Sellner und ist auf IB-Demos zu sehen, ebenso wie der AfD-Landtagsabgeordnete Daniel Halemba, der zuletzt wegen Volksverhetzung polizeilich gesucht wurde. 

Oder auch Jonas Schick. Er stieg 2016 mit der Gründung in die JA-Ortsgruppe Bremen ein, gleichzeitig war er einer der Hauptakteure der IB Bremen. In dieser Rolle wurde er auch öffentlich geoutet – nur um ein Jahr später als Büroleiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz engagiert zu werden. 

Ähnlich verhält es sich in Österreich. Auch dort ist die Kooperation offensichtlich – und das nicht erst seit der derzeitige FPÖ-Vorsitzender und Spitzenkandidat Herbert Kickl die IB ein „interessantes und unterstützenswertes Projekt“ nannte. Auch dort ist die Kooperation zwischen IB-Aktivisten und FPÖ-Kreisen offensichtlich. 2021 wird ein IB-Unterstützer und Lokalpolitiker der FPÖ festgenommen – er hatte einen Anschlag auf das kommunistische Wiener Volksstimmefest geplant.

Das vom österreichischen IB-Kader Sellner eingebrachte Konzept der „Remigration“, das durch das Potsdamer Geheimtreffen mit AfD-Politkern in die Öffentlichkeit gelangte, nannte Kickl „einen Trumpf“ und sprach scherzhaft von einem „Geh-Heim-Plan“. Der FPÖ-Jugendvorsitzende von Oberösterreich, Silvio Hemmelmayr spricht 2023 auf einer IB-Demo in Wien und bekennt sich zum rechten Schulterschluss. 

Die Bewegung stellt dabei eine Art Scharnierfunktion dar, zwischen autonomen rechtsextremen Kreisen und parlamentarischen Rechten wie der AfD oder der FPÖ. Denn auf der anderen Seite kooperiert man mit rechten Hooligans und Neonazi-Gruppen, engagiert sie als Demoschutz oder bildet Bündnisse wie 2015 in Berlin aus HoGeSa Berlin, der NPD, Pro Deutschland und dem regionalen IB-Ableger. Viele IB-Mitglieder entstammen deutschnationalen Burschenschaften oder waren vormals in freien Kameradschaften aktiv. 

 

Ein Plakat mit der Schrift "Kein Faschismus"
Flickr | Kai Schwerdt - CC BY-NC 2.0

Eine breite rechte Bewegung als Gefahr 

Durch ihr einerseits studentisch intellektuelles Auftreten, andererseits durch den gelebten Aktionismus bietet die IB eine breite Anknüpffläche, die bis ins bürgerliche Milieu hineinreicht. Sie haben es erfolgreich geschafft, sich als rechtsextreme Bewegung im deutschsprachigen Raum zu etablieren, die scheinbar harmloser und gemäßigter auftritt als die Baseball schwingenden Nazi-Skinheads der 90er Jahre. 

Durch breit aufgestellte Öffentlichkeitsarbeit und die Fokussierung auf die sozialen Medien haben sie, gemessen an ihrer Personenstärke, die in Deutschland auf gerade einmal 500 geschätzt wird, eine hohe Reichweite und politischen Stellenwert für die rechte Bewegung. Dabei kommt auch wieder ihre Scharnierfunktion zu tragen. Durch den informellen Charakter, die Jugendkultur-Elemente und das hohe Aktionismuslevel schaffen sie es besser, junge Menschen anzusprechen, als dies eine Partei könnte. Vor allem während der Pandemie waren sie bemüht, über die Teilnahme an Corona-kritischen Demonstrationen niederschwellig Zugang zu bürgerlichen Kreisen zu gelangen. Als Straßenbewegung sind sie dabei auch beim Umgang mit anderen rechtsextremen Gruppen weniger öffentlichem Druck oder Rechtfertigung ausgeliefert als eine Partei.  

Andererseits hat die rechte Politik mittlerweile das Potenzial der IB erkannt – als Sprachrohr ihrer Politik auf der Straße, als subversive Störkraft gegen die etablierten Parteien und als rechte Jugendkultur, die Kinder und Jugendliche für rechte Ideologien begeistern kann. Kaum verwunderlich, dass es daher kaum noch glaubhafte Abgrenzungen der FPÖ oder AfD in Bezug auf die IB gibt – im Gegenteil. Die Parteien zeigen sich zunehmend offen der rechten Bewegung gegenüber; man fördert Projekte, unterstützt IB-Vereine und zeigt sich öffentlich mit bekannten IB-Aktivisten. Die bedanken sich und werben mittlerweile auch öffentlich für die rechten Parteien bei anstehenden Wahlen.

Dabei zeigt sich die eigentliche Gefahr: Die rechte Bewegung ist organisiert, breit und gut vernetzt. Von der Straße bis ins Parlament kennt man seine Aufgabe und unterstützt sich gegenseitig. Wie gut das funktioniert, zeigt sich sowohl in Deutschland als auch in Österreich. Die FPÖ ist derzeit stimmenstärkste Kraft in den Umfragen für die Nationalratswahl 2024. Auch in Deutschland wird im Herbst in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gewählt. Zwar hat die AfD nach den Veröffentlichungen um das Geheimtreffen in Potsdam an Zustimmung verloren – dennoch wird ihr hohe Stimmenanteile in allen drei Bundesländern vorhergesagt. 

Um den Rechtsruck in Europa zu verhindern, braucht es viel. Große progressive Bewegungen, mehr politische Bildung und neue politische Konzepte. Bessere Welt Info steht für eine demokratische und offene Gesellschaft in Deutschland und Österreich – und gegen Hass, Ausgrenzung und Abschottung. Wir setzen uns ein für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit und Dialog. Dafür unterstützen wir progressive Bestrebungen, liefern Inhalte zur politischen Bildung und bieten eine Plattform für kritische Bürger oder Aktivisten. 

Autor: Maximilian Stark 05.03.24, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0

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