Präventive Ansätze gegen Rechts
➡️ Prävention gegen Rechtsextremismus - Versäumnisse, Maßnahmen und Strategien
In den vergangenen Jahren sind in der Prävention von Rechtsextremismus in Deutschland schwerwiegende Fehler gemacht worden – Fehler, die extremistischen Netzwerken Raum gaben, um sich zu etablieren, zu vernetzen und zu stärken. Im Jahr 2024 wurde in Deutschland ein neuer Höchststand politisch motivierter Straftaten verzeichnet – insgesamt rund 84.000 Fälle, ein Anstieg von etwa 40 % gegenüber dem Vorjahr. Mehr als die Hälfte davon waren rechtsmotivierte Delikte, die um 48 % zugenommen haben – Tendenzen verstärkten sich besonders durch die Bundestagswahl und den Gaza-Konflikt.
In absoluten Zahlen wurden rund 37.800 rechtsextreme Delikte verübt – darunter etwa 1.280 Gewalttaten. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz lag das rechtsextreme Personenpotenzial 2024 bei etwa 50.250 Personen, rund 24 % mehr als 2023, darunter 15.300 gewaltorientierte Rechte. Anschläge wie in Hanau 2020 oder in München 2016 bilden dabei traurige Höhepunkte. Seit 1990 schätzen Stiftungen und NGOs die Zahl der Todesopfer rechter Gewalt auf bis zu 300 Personen. Die Bundesregierung erkennt allerdings nur knapp 100 an – trotz teils erdrückender Beweise.
„Rechtsextremismus ist derzeit die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie in Deutschland.“ – Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz
Ein zentraler Fehlgriff war die jahrelange Unterschätzung der Gefahr, die von rechtsextremen Strukturen ausgeht. Während Sicherheitsbehörden den Fokus stark auf islamistischen Terror legten, rückte die Bedrohung durch Rechtsextremismus in den Hintergrund. Die Konsequenzen waren spürbar: weniger Ressourcen, weniger Personal, weniger Aufmerksamkeit. Präventionsprojekte erhielten oftmals nur begrenzte Förderungen, langfristige Strategien blieben aus. Besonders in Schulen und in der politischen Bildung bleibt das Thema aufgrund von mangelnden Ressourcen oder fehlenden Fachkenntnissen oberflächlich – mit der Folge, dass junge Menschen weniger sensibilisiert waren und leichter für extremistische Botschaften empfänglich wurden.
Defizite bei Behörden und in der digitalen Prävention
Auch im digitalen Raum wurde die Gefahr lange ignoriert. Rechtsextreme Gruppen nutzen soziale Netzwerke und verschlüsselte Plattformen, um Propaganda zu verbreiten, neue Anhänger zu gewinnen und Hass gezielt zu schüren. Präventionsarbeit blieb dort jedoch schwach – es fehlte an effektiven Gegenstrategien und zeitgemäßen Ansätzen.
Die Strafverfolgung von Hasskriminalität verlief oft schleppend. Vor allem im Internet wurden Hetze und extremistische Kommentare nicht konsequent geahndet. Den Behörden mangelte es an Personal und Fachwissen, um digitale Hasskriminalität systematisch zu bekämpfen.
Zuletzt wurden im Frühjahr 2025 fünf Jugendliche verhaftet, weil sie einer extremistischen Gruppe namens „Letzte Verteidigungswelle“ angehörten, die Anschläge auf Asylunterkünfte plante. Auch bei strafrechtlich relevanter Hetze im Netz gelingt zu wenig: 2024 wurden über 10.700 Hasspostings erfasst – ein Anstieg um 34 % zur Vorjahresperiode – und dennoch war der staatliche Aktionstag mit 170 Razzien nur ein symbolischer Schritt.
Hinzu kam eine mangelnde Vernetzung der Sicherheitsbehörden. Der NSU-Komplex gilt bis heute als mahnendes Beispiel: Fehlende Kooperation zwischen Polizei und Verfassungsschutz auf Landes- und Bundesebene verzögerte die Aufklärung erheblich. Experten sind sich einig, dass eine bessere Abstimmung rechtsextreme Netzwerke vermutlich früher hätte enttarnen und bekämpfen können. Zusätzlich erschütterten Vertuschungsvorwürfe, Aktenvernichtungen und mangelnde Aufklärung das Vertrauen in Polizei, Verfassungsschutz und Justiz nachhaltig. Die Opfer und ihre Angehörigen wurden jahrelang verdächtigt und kriminalisiert anstatt rechtsextreme Täter in Betracht zu ziehen.
Für zusätzlichen Vertrauensverlust sorgten Enthüllungen über rechtsextreme Netzwerke und Sympathien innerhalb von Polizei und Bundeswehr. Mangels funktionierender Kontrollmechanismen wurden viele dieser Fälle nicht konsequent untersucht oder geahndet – ein Problem, das die Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen massiv untergräbt.
Im Zeitraum zwischen Juli 2021 und Dezember 2022 wurden insgesamt 739 Verdachtsfälle rechtsextremistischer Tendenzen bei Beschäftigten der deutschen Sicherheitsbehörden untersucht – davon führten 364 zu konkreten Hinweisen auf demokratiefeindliche Einstellungen. Ein besonders alarmierendes Beispiel: Innerhalb der nordrhein-westfälischen Polizei entdeckte man im Jahr 2019 eine rechtsextreme Chatgruppe mit 29 beteiligten Beamten, die Hitler-Fotos und menschenverachtende Inhalte teilten – alle wurden suspendiert; 251 Verdachtspersonen waren in diesem Zusammenhang bekannt.
Strategien gegen Rechtsextremismus
Um der wachsenden Gefahr des Rechtsextremismus entgegenzuwirken, fordern Fachleute ein breit angelegtes Maßnahmenpaket. Den Anfang macht die Aufstockung der politischen Bildung – nicht nur in Schulen, sondern auch in der Erwachsenenbildung. Aufklärung über extremistische Ideologien und ihre Gefahren hilft, Falschinformationen zu entlarven und kritische Diskussionen anzuregen. Programme wie „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ oder „Demokratie leben!“ setzen hier an, indem sie Schüler, Lehrkräfte und Eltern gemeinsam Strategien gegen Diskriminierung und Hass entwickeln lassen. Parallel dazu sind gezielte Medienkompetenztrainings notwendig, um Verschwörungserzählungen und digitale Radikalisierungsversuche zu erkennen und zu entkräften. Workshops zu Demokratie und Toleranz – etwa von NGOs oder Bildungseinrichtungen – schaffen zudem wichtige Räume für Austausch.
Auch das soziale Umfeld spielt eine Schlüsselrolle. Rechtsextreme Aussagen sollten sachlich, aber entschieden hinterfragt werden. Zivilcourage bedeutet, bei diskriminierenden oder extrem rechten Handlungen einzuschreiten oder Betroffene zu unterstützen. Vereine wie die Amadeu Antonio Stiftung, EXIT-Deutschland oder Opferperspektive leisten hier wichtige Arbeit – durch Bildungsprogramme, Aussteigerhilfen und direkte Unterstützung für Betroffene. Kommunale Präventionsräte, die Sozialeinrichtungen, Schulen und Vereine vernetzen, schaffen Strukturen, um extremistischen Aktivitäten vor Ort frühzeitig zu begegnen. Spezialisierte Streetwork-Teams erreichen gefährdete Jugendliche direkt, knüpfen Vertrauen und bieten Alternativen zu radikalen Milieus.
Auf rechtlicher Ebene ist die konsequente Strafverfolgung von Hasskriminalität unverzichtbar. Schnellere Verfahren, spezialisierte Staatsanwaltschaften und die verpflichtende Kooperation mit Social-Media-Plattformen können verhindern, dass Hassrede und Bedrohungen im Netz folgenlos bleiben. Innerhalb von Polizei und Bundeswehr braucht es unabhängige Kontrollmechanismen, demokratische Bildungsangebote und Whistleblower-Stellen, um rechtsextreme Netzwerke konsequent aufzudecken und zu zerschlagen.
Umgang mit der AfD und Opferperspektiven
Rechtsextremismus-Prävention muss auch dort ansetzen, wo extremistische Positionen über parteipolitische Strukturen in den gesellschaftlichen Diskurs getragen werden. In Deutschland steht dabei die AfD im Fokus, deren Teile – insbesondere der formal aufgelöste, aber weiterhin einflussreiche „Flügel“ – vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft werden. 2025 wurde die Partei dann sogar kurzzeitig umfassend als rechtsextreme Partei eingeordnet.
Präventionsarbeit in diesem Kontext bedeutet, demokratiefeindliche Narrative, die in Parlamentsreden, Wahlkämpfen oder sozialen Medien platziert werden, klar zu benennen und faktenbasiert zu widerlegen. Politische Bildung, kritische Medienkompetenz und investigative Berichterstattung sind entscheidend, um die Normalisierung von Rassismus, Geschichtsrevisionismus und autoritären Vorstellungen in der öffentlichen Debatte zu verhindern. Gleichzeitig ist ein offener Dialog mit unzufriedenen Wählergruppen wichtig, um deren Sorgen ernst zu nehmen, ohne rechtsextreme Positionen zu übernehmen oder zu relativieren.
Langfristig wirksam sind Präventionsmaßnahmen vor allem, wenn sie soziale Integration und Chancengleichheit fördern. Projekte, die Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenbringen – etwa interkulturelle Sportvereine, Patenschaftsprogramme oder Nachbarschaftsinitiativen – bauen Vorurteile ab und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
"Unsere Kinder sind wegen der Herkunft ihrer Eltern gestorben. Weil wir Migranten sind. Der Täter hat gezielt migrantisch aussehende Menschen getötet. Es hätte jeden von uns mit schwarzen Haaren treffen können." - Serpil Temiz Unvar, Mutter vom in Hanau getöteten Ferhat Unvar
Solidarität mit Opfern rechtsextremer Gewalt ist dabei ebenso entscheidend: Hilfsorganisationen wie RAA Sachsen, ezra, response oder die Mobile Opferberatung können durch Spenden und ehrenamtliches Engagement unterstützt werden. Zudem müssen Opfer rechter Gewalt und deren Angehörige in Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus aktiv einbezogen werden, denn ihre Erfahrungen machen die Folgen von Hass und Gewalt unmittelbar greifbar. Ihr Wissen und ihre Perspektiven können Lücken in bisherigen Ansätzen aufzeigen und praxisnahe Lösungen fördern. Durch respektvolles Zuhören und Beteiligung wird ihre Stimme gestärkt und gesellschaftliche Solidarität sichtbar gemacht.
Wer zudem die eigenen Haltungen reflektiert und vorhandene Ressourcen nutzt, um andere zu stärken, trägt aktiv zu einer offenen Gesellschaft bei. Der Weg ist klar: Nur das Zusammenspiel aus Bildung, starker Zivilgesellschaft, konsequenter Strafverfolgung und sozialer Integration kann den Einfluss des Rechtsextremismus wirksam eindämmen und die Demokratie widerstandsfähig machen.
Für eine entschlossene Prävention von Rechtsextremismus
Rechtsextremismus ist keine Randerscheinung, sondern eine reale, wachsende Gefahr für Demokratie, Menschenrechte und gesellschaftlichen Frieden. Wenn Hass, Ausgrenzung und Gewalt sich ausbreiten, erodiert das Fundament, auf dem unsere freiheitliche Gesellschaft steht. Die Geschichte lehrt uns, dass Demokratien nicht plötzlich, sondern schleichend zerfallen – oft, weil zu lange weggesehen oder gezögert wurde, klare Grenzen zu ziehen.
Prävention ist daher keine optionale Ergänzung staatlicher Sicherheitsarbeit, sondern eine zentrale Verteidigungslinie unserer Demokratie. Sie bedeutet, Menschen frühzeitig vor extremistischen Ideologien zu schützen, Räume für Dialog zu schaffen und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu stärken. Bildung, Aufklärung und soziale Integration sind dabei ebenso wichtig wie eine klare, unmissverständliche Haltung gegen menschenfeindliche Parolen. Wer nicht handelt, überlässt die öffentliche Debatte jenen, die sie mit Hass und Lügen füllen.
Wird der Rechtsextremismus nicht konsequent bekämpft, drohen weitreichende Folgen: Minderheiten werden zunehmend bedroht und entrechtet, gesellschaftliche Gräben vertiefen sich, und das Klima der Angst untergräbt Freiheit und Gleichberechtigung. Die politische Kultur verroht, demokratische Entscheidungen werden delegitimiert, und autoritäre Kräfte gewinnen an Einfluss. Am Ende steht nicht nur der Verlust von Rechten Einzelner, sondern die Aushöhlung der Demokratie selbst.
Ein gerechtes, freies und vielfältiges Zusammenleben lässt sich nur sichern, wenn wir Rechtsextremismus als das benennen, was er ist: eine Gefahr für alle. Prävention ist Investition – in Sicherheit, in Gerechtigkeit, in die Zukunft. Sie braucht Mut, Entschlossenheit und den festen Willen, eine offene Gesellschaft gegen ihre Feinde zu verteidigen. Die Zeit zu handeln ist jetzt – bevor aus Worten Taten werden, die nicht mehr rückgängig zu machen sind.
Autor: Maximilian Stark. 13.08.25, lizenziert unter CC BY-SA 4.0
Für weiterführende Informationen zum Thema siehe unten ⬇️
- EXIT-Deutschland
- Opferperspektive e.V.
- Amadeu Antonio Stiftung
- Bundesverband Mobile Beratung
- Leuchtlinie
- soliport Bremen
- RAA - Sachsen e.V
- ReachOut Berlin
- empower Hamburg
- ADB Brandenburg
- Mobile Opferberatung
- BEFORE München
- ezra Thüringen
- response Hessen
- Opferberatung Rheinland
- Zebra e.V.
- HateAid
- Lobbi MV
- Bud Bayern
- Toolbox gegen rechte Gewalt
- Netzwerk für Demokratie und Courage
- respekt*land - Antidiskriminierungsberatung
- Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V.
- Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt
- Netzwerk für Demokratie und Courage Österreich
- Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW)
- Demokratiezentrum Wien
- ZARA Österreich
- LOVE-Storm - Gemeinsam gegen Hass im Netz
- Ursachen und Prävention des Rechtsextremismus - bpb
- Unterrichtsmaterialien und Methoden zur Prävention von Rechtsextremismus in der Schule
- Gegenrechtsschutz
- Gegenrechtsschutz - Widerstand ist sinnvoll
- Video: Nius: Wo Rechte eine Bühne bekommen - ZDF 06.12.24
- Palastrevolution - Jung&Naiv 29.06.24
- "Deutschland hat nach Hanau versagt" - tagesschau 18.02.24
- Kampf gegen Rechtsextremismus "Die Forschung zeigt: Das ist nicht klug" - t-online 23.01.24
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