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Bündnis 90/ Die Grünen - Eine Analyse des Wahlprogramms

In den letzten Jahren haben die Grünen an Zustimmung verloren. Während sie nach der Bundestagswahl 2021 noch zweitstärkste Kraft hinter der SPD waren, fallen sie mit 13 % aktuell hinter CDU, AfD und SPD. Dies liegt an mehreren Faktoren: anhaltende Unzufriedenheit mit der Ampel-Regierung, einer als elitär empfundenen Politik, der schwachen Wirtschaftslage und internen Widersprüchen zwischen Realpolitik und den Erwartungen ihrer Wählerbasis.

Im aktuellen ➡️ Bundestagswahlkampf 2025 tritt man mit Robert Habeck als Kanzlerkandidaten an. Er wurde im November 2024 auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden nominiert und betonte in seiner Rede die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Im Januar 2025 lag er mit dem Spitzenkandidaten der CDU, Friedrich Merz, gleichauf an erster Stelle als Wunschbundeskanzler. Doch seine Partei kann davon bislang nicht profitieren und stagniert in den Umfragen. Im Wahlkampf gibt man sich als Partei der Mitte und versucht möglichst breite Wählerschichten zu erreichen.

Man vertritt soziale Themen, wie die Anhebung des Mindestlohns, die Durchsetzung einer Reichensteuer oder konsequenten Klimaschutz. Andererseits tritt man auch für strengere Migrationsbestimmungen und Waffenlieferungen an die Ukraine ein. Da sieht man den Wandel der ehemals pazifistischen und basisdemokratischen Protestpartei hin zu einer etablierten Bürger-Partei, die heute pragmatische Realpolitik betreibt und Kompromisse mit der Wirtschaft und anderen politischen Lagern eingeht. Die Abkehr vom friedenspolitischen Kurs und dem Erbe von Petra Kelly hin zu Waffenexporten in Kriegsgebiete, nukleare Teilhabe und massive Aufrüstung haben sie für viele ihrer früheren Kernwählerschaft unwählbar gemacht. 

Gegenüber der Union grenzt man sich klar ab, kritisiert deren Migrationspolitik und das zunehmende Herantasten an die AfD. Programmatisch finden sich einige Kontrapunkte zu den Konservativen, beispielsweise die Reform der Schuldenbremse für mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur oder klare Haltung gegen Atomkraft, Tempofreiheit auf Autobahnen oder Verbrennermotoren.

 

Eine Grafik zu den Wahlstimmen der Grünen
statista 2024

Welche Politik haben die Grünen zuletzt umgesetzt?

Bei der Bundestagswahl 2021 konnten die Grünen mit 14,8 % ihr bislang bestes Wahlergebnis erzielen. Damals rückte der Klimaschutz durch Umweltkatastrophen und die "Fridays for Future"-Bewegung ins Zentrum der politischen Debatte und man wurde als glaubwürdige Alternative zur etablierten Klimapolitik wahrgenommen. In der anschließenden Ampel-Koalition übernahm man das Außenministerium sowie die Bereiche Wirtschaft & Umweltschutz und Landwirtschaft. Besonders im Bereich Klimaschutz konnten sie unter Wirtschafts- und Umweltminister Robert Habeck zentrale Weichen stellen. 

Der Ausbau erneuerbarer Energien wurde massiv beschleunigt, bürokratische Hürden für Wind- und Solarenergie abgebaut, das Deutschlandticket eingeführt und das Ziel der Klimaneutralität blieb ein zentrales Anliegen. Auch in der Sozialpolitik konnten die Grünen Erfolge verbuchen, etwa mit der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro. Zudem trugen sie zur gesellschaftlichen Modernisierung bei, indem sie das Selbstbestimmungsgesetz für trans- und intergeschlechtliche Menschen durchsetzten.

Dennoch gab es auch einige Rückschläge. Die Einführung der Kindergrundsicherung, ein zentrales Wahlversprechen, konnte nur in stark abgeschwächter Form durchgesetzt werden, was zu erheblicher Kritik von Sozialverbänden führte. Besonders problematisch war die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz, das ursprünglich verpflichtende Vorgaben zum Heizungstausch enthielt. Aufgrund einer schlecht koordinierten Kommunikation löste das sogenannte „Heizungsgesetz“ massive Verunsicherung aus und musste nach öffentlichen Protesten überarbeitet werden.

Anstatt sich anlässlich der eingestellten Gaslieferungen aus Russland von fossilen Brennstoffen abzuwenden, entschied sich Habeck für den deutlich unökologischeren Weg. Davon zeugen das von ihm verabschiedete LNG-Beschleunigungsgesetz und die in Betrieb genommenen LNG-Terminals in Brunsbüttel, Wilhelmshaven, Stade und Lubmin. Abhängig ist man nun von Flüssigerdgas aus den USA und Katar, was unlängst von Amnesty wegen seiner schlechten Menschenrechtslage kritisiert wurde.

 Dies schadete dem Ansehen der Grünen erheblich. Auch die wertegeleitete Außenpolitik unter Annalena Baerbock führte zu Kritik. Ihre zurückhaltende und oft unklare Israel-Politik und die strikte Unterstützung der Ukraine mit Waffenlieferungen, führte zu Spannungen innerhalb der eigenen Wählerschaft.

Trotz der Erfolge in der Energie- und Klimapolitik sank die Beliebtheit der Ampel-Koalition insgesamt, was sich auch auf die Grünen auswirkte. Während sie anfangs als zentrale Reformkraft galten, wurden sie zunehmend mit einer als bürokratisch und realitätsfern wahrgenommenen Politik assoziiert. Umfragen zeigen, dass viele Wähler die Grünen als Teil einer Regierung sehen, die zwar viel gearbeitet, aber wenig Vertrauen in der Bevölkerung gewonnen hat und nach der FDP die größte Schuld am Scheitern der Koalition trägt.

 

Franziska Brantner, Robert Habeck, Annalena Baerbock und Felix Banaszak beim Bundeskonkgress der Grünen 2025
Wiki | Martin Kraft - CC BY-SA 4.0

Für konsequenten Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit

Das Wahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen zur Bundestagswahl 2025 trägt den Titel „Zusammen wachsen“ und legt den Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Modernisierung. 

Im Bereich Klimaschutz streben die Grünen nach einer klimaneutralen Wirtschaft. Im Energiesektor soll bis 2035 eine vollständig klimaneutrale Stromerzeugung realisiert werden. Dazu will man den Ausbau erneuerbarer Energien massiv vorantreiben und Investitionen in Energieeffizienz sowie den Umbau der Stromnetze tätigen. Der Kohleausstieg ist weiterhin für 2030 geplant, und es soll eine "Gasunabhängigkeits-Strategie" entwickelt werden, um fossile Energieträger zügig zu ersetzen. Man wirbt für ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen und bekennt sich weiterhin zum Atomausstieg.

Zur sozialen Abfederung der Klimaschutzmaßnahmen setzen die Grünen auf ein Klimageld, das Einnahmen aus CO₂-Bepreisungen an die Bürgerinnen und Bürger zurückgibt. Zudem sollen Förderprogramme für Wärmepumpen und Elektroautos ausgebaut sowie das Deutschlandticket zum ursprünglichen Preis von 49 Euro fortgeführt werden, um den Umstieg auf klimafreundliche Alternativen zu erleichtern. 

Soziale Gerechtigkeit ist ein weiterer Schwerpunkt des Programms. Die Grünen setzen sich für die Einführung einer Kindergrundsicherung ein, um Kinderarmut zu bekämpfen. Zudem soll der Mindestlohn auf 15 Euro pro Stunde angehoben und die Tarifbindung gestärkt werden, um faire Löhne und Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.

In der Rentenpolitik planen die Grünen, das Rentenniveau bei 48 Prozent des durchschnittlichen Arbeitseinkommens zu stabilisieren. Sie schlagen die Einführung eines Bürgerfonds vor, der in europäische und deutsche Start-ups investiert und dabei nachhaltige sowie Klimaschutzkriterien berücksichtigt. Zudem sollen Anreize für längeres Arbeiten geschaffen und perspektivisch auch Abgeordnete sowie Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden.

Im Gesundheitsbereich möchten die Grünen die Versorgung ländlicher Regionen verbessern, unter anderem durch zusätzliche Programme für Gemeindegesundheitspfleger und mobile medizinische Angebote. Zudem sollen private Krankenversicherungen stärker zur Finanzierung des Gesundheitssystems beitragen, und Kapitaleinnahmen sollen zur Finanzierung des Gesundheits- und Pflegesystems herangezogen werden.

 

Eine Statistik zu den Wahlverhalten der Grünen Wähler
Statista 2023

Wirtschaft, Waffen und starke NATO

Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Förderung einer nachhaltigen und ökologischen Wirtschaft. Die Grünen planen, den Mittelstand und Handwerksbetriebe durch Bürokratieabbau und gezielte Förderprogramme zu unterstützen. Hierzu gehört die Einführung einer Investitionsprämie von zehn Prozent für alle Unternehmen, die mit der Steuerschuld verrechnet oder direkt ausgezahlt werden können. Diese Maßnahme ist zunächst auf fünf Jahre begrenzt. 

Große Vermögen wollen sie stärker durch eine höhere Erbschaftssteuer, Milliardärssteuer und eine Vermögenssteuer belasten. Um Fachkräfte aus dem Ausland schneller und einfacher einzugliedern, möchte man eine digitale Einwanderungsagentur schaffen.

Die Grünen setzen sich für eine humane Flüchtlingspolitik ein und betonen die Notwendigkeit einer Migrationspolitik, die Humanität und Ordnung zusammenbringt. Sie unterstützen die Reform des europäischen Asylsystems und fordern ein konsequentes Vorgehen gegen illegale Pushbacks an den EU-Außengrenzen. Die Verlagerung von Asylverfahren in Drittstaaten lehnt man ab, ebenso wie abgelegene Asylunterkünfte in Deutschland oder Arbeitseinschränkungen für arbeitswillige Asylsuchende. 

Die Europäische Union möchten die Grünen stärken – auch durch Erweiterung um die Westbalkanstaaten, Moldau und die Ukraine, wenn diese die Auflagen erfüllen. Außenpolitisch fordern sie eine umfassende Unterstützung der Ukraine, einschließlich militärischer Hilfe, und streben eine Stärkung der europäischen Verteidigung innerhalb der NATO an. 

Dafür soll auch deutlich mehr als 2 % des BIP aufgewendet werden. Auch zur nuklearen Teilhabe bekennt man sich deutlich und fordert zudem eine europäische Rüstungsindustrie, um effizienter zu produzieren. Die Wehrpflicht soll auf freiwilliger Basis erhoben werden. Russland-Sanktionen will man ausweiten und China nennt man einen "systemischen Rivalen, Wettbewerber und Partner". 

Im Bereich der Inneren Sicherheit planen die Grünen, den Kampf gegen organisierte Kriminalität zu verstärken. Sie schlagen die Einrichtung eines „Gemeinsamen Zentrums Organisierte Kriminalität“ vor und möchten eine Finanzpolizei zur Bekämpfung von Geldwäsche ausbauen. Die Vorratsdatenspeicherung lehnt man ab. Man fordert zudem eine Verschärfung des Waffenrechts und eine Kennzeichnungspflicht von Bundespolizisten. 

 

Wahlkampf zur Europawahl 2024 von Bündnis 90/Die Grünen auf dem Neptunplatz in Köln-Ehrenfeld
Wiki | Raimond Spekking - CC BY-SA 4.0

Welche Chancen haben die Grünen?

Angesichts der aktuellen Umfragewerte dürften die Grünen in einer künftigen Koalitionsbildung als Juniorpartner von CDU fungieren – wenn man Regierungsverantwortung anstrebt. Als Reaktion auf die hitzige Migrationsdebatte befeuert durch AfD und CDU veröffentlichte Robert Habeck zuletzt einen eigenen 10-Punkte-Plan zur Migrations- und Sicherheitspolitik, der unter anderem die konsequente Abschiebung von nicht deutschen Gefährdern und Schwerkriminellen, eine Stärkung der Bundespolizei sowie den Schutz der EU-Außengrenzen vorsieht. Eine Annäherung an konservative Positionen könnte man meinen. 

Allerdings stehen einige Punkte wie die Ablehnung einer Begrenzung des Flüchtlingszuzugs oder die Schaffung von legalen Alternativen für illegale Migration im direkten Widerspruch zu CDU-Positionen. Auch in Sozial- oder Klimapolitik vertritt man bislang deutlich andere Positionen als die Union. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther betont die erfolgreiche Zusammenarbeit mit den Grünen in seinem Bundesland und sieht Schwarz-Grün als eine denkbare Option auf Bundesebene. Demgegenüber hat CSU-Chef Markus Söder mehrfach eine Koalition mit den Grünen auf Bundesebene vehement ausgeschlossen. 

Auf Seiten der Grünen gibt es ebenfalls unterschiedliche Meinungen: Während einige Mitglieder eine Zusammenarbeit mit der CDU/CSU befürworten, sehen andere erhebliche inhaltliche Differenzen. Habeck schloss eine Zusammenarbeit mit der CDU/CSU nicht aus, forderte zuletzt jedoch von deren Kanzlerkandidat Friedrich Merz ein öffentliches Eingeständnis von Fehlern, insbesondere im Umgang mit der AfD. 

Vor allem die Grüne Jugend steht einer Koalition mit der CDU ablehnend gegenüber. So positionierte man sich gegen Habecks Migrationsplan, lehnte jegliche Form von Migrationsbegrenzung oder -kontrolle ab und fordert die vollständige Entkriminalisierung illegaler Einreisen. Mit der SPD gibt es deutlich mehr inhaltliche Schnittmengen. Aktuelle Umfragen deuten allerdings darauf hin, dass ein rot-grünes Bündnis wahrscheinlich nicht die erforderliche Mehrheit im Bundestag erreicht. Dennoch betonen sowohl die Grünen als auch die SPD ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit, sofern programmatische Überschneidungen bestehen und eine stabile Regierungsbildung möglich ist.

Die Frage, wie und ob die Grünen ihre Positionen in einer möglichen Regierung behaupten können, wird wohl eine zentrale Rolle spielen. Die Ampel-Koalition mit der FDP hat gezeigt, wie schwer es für die Grünen war, ihre sozialen und klimapolitischen Interessen mit einem konservativen Partner umzusetzen. Letztlich wird sich zeigen, ob man bereit ist, zentrale Positionen aufzugeben und weitreichende Zugeständnisse zu machen, um politische Macht und Regierungsverantwortung zu erlangen – oder ob man entschlossen an seinen sozial- und klimapolitischen Überzeugungen festhält und damit möglicherweise den Gang in die Opposition in Kauf nimmt.

Autor: Maximilian Stark 13.02.25, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0

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