Erdogan
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Ratgeber zu ➡️ Politik in der Türkei

Die Politik in der Türkei ist geprägt von einer komplexen Mischung aus historischen Traditionen und modernen Herausforderungen, die das Land in eine dynamische und oft kontroverse politische Landschaft verwandeln. Diese politische Umgebung wird stark von verschiedenen Akteuren und Institutionen beeinflusst, die jeweils eigene Interessen und Agenden verfolgen. 

Auf Bessere Welt Info findest du Artikel zur Türkei, Kurden und IS. - Unser Partnerseite ➡️ Better World Info bietet dir viele englische Links zur Politik in der Türkei.

Wenn dich dieses Thema interessiert, schau dir auch gerne unseren Ratgeber zu ➡️ Menschenrechten in der Türkei an.

Die türkische Regierung

Die Regierung in der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist seit 2003 maßgeblich von seiner AKP (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) geprägt. Erdoğan hat in dieser Zeit weitreichende politische und wirtschaftliche Reformen durchgeführt, aber auch zunehmend autoritäre Tendenzen gezeigt. Die Gewaltenteilung wurde geschwächt, die Medienfreiheit stark eingeschränkt und die Justiz unter Druck gesetzt, um Regierungskritiker zu unterdrücken. Die Machtkonzentration in Erdoğans Händen und die Verfassungsänderungen von 2017, die ein Präsidialsystem einführten, haben seine Position weiter gestärkt. Diese Entwicklungen haben die demokratischen Strukturen der Türkei erheblich belastet und internationale Besorgnis ausgelöst.

Erdoğans Einfluss erstreckt sich auch nach Deutschland, wo eine große türkische Diaspora lebt. Durch Netzwerke von Moscheen und Kulturvereinen, die unter anderem von der türkischen Regierung finanziert und kontrolliert werden, versucht Erdoğan, politischen und gesellschaftlichen Einfluss auf die türkischstämmige Gemeinschaft in Deutschland auszuüben. Zudem werden deutsche Politiker und Medien zunehmend Zielscheiben von Erdoğans scharfer Kritik, wenn sie sich gegen seine Politik stellen oder Menschenrechtsverletzungen anprangern.

Vetternwirtschaft ist ein weit verbreitetes Phänomen in der türkischen Politik, wo politische Entscheidungen oft auf persönlichen Beziehungen und Familienbindungen basieren. Vertrautheit und informelle Netzwerke spielen eine entscheidende Rolle bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, der Besetzung von Ämtern und der Verteilung von Ressourcen. Dies hat zu einem Gefühl der Ungerechtigkeit und zur Entfremdung vieler Bürger geführt, die glauben, dass Entscheidungen nicht immer im besten Interesse des Landes getroffen werden, sondern oft zum Vorteil einflussreicher Familien oder Gruppen.

Die türkische Opposition

Die türkische Opposition steht vor erheblichen Herausforderungen, die ihre Wirksamkeit stark einschränken. Trotz der Existenz mehrerer Oppositionsparteien wie der Cumhuriyet Halk Partisi und der Halkların Demokratik Partisi, wird ihre Arbeit durch die dominierende Macht der regierenden AKP und Präsident Erdoğan erheblich behindert. Medienunterdrückung, willkürliche Verhaftungen von Oppositionspolitikern und ein Justizsystem, das oft parteiisch agiert, machen es schwierig, eine effektive Opposition zu bilden. Zudem sorgt die Polarisierung der türkischen Gesellschaft dafür, dass oppositionelle Stimmen oft marginalisiert werden. Infolgedessen gibt es faktisch kaum eine Opposition, die in der Lage ist, das politische Machtgefüge ernsthaft herauszufordern oder zu verändern.

Journalismus und Medien in der Türkei

Journalismus und Medien in der Türkei stehen unter starkem Druck, insbesondere seit der Machtübernahme durch Präsident Erdoğan und die AKP. Die Regierung hat systematisch kritische Medienhäuser geschlossen, Journalisten verhaftet und die Pressefreiheit stark eingeschränkt. Viele Medienunternehmen befinden sich unter Kontrolle der Regierung oder regierungsnaher Geschäftsleute, was zu einer einseitigen Berichterstattung führt. Selbstzensur ist weit verbreitet, da Journalisten oft Repressalien fürchten müssen. Internationale Beobachter und Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Türkei regelmäßig für ihre Angriffe auf die Medienfreiheit. Diese restriktive Medienlandschaft erschwert es der Bevölkerung, Zugang zu unabhängigen und kritischen Informationen zu erhalten, und untergräbt die demokratischen Grundsätze des Landes

 

Türkischer Frühling
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Gezi-Park / Türkischer Frühling

Der Gezi-Park-Protest im Jahr 2013 war eine bedeutende Protestbewegung in der Türkei, die als Reaktion auf die geplante Bebauung des Gezi-Parks in Istanbul begann. Am 28. Mai 2013 besetzten Umweltschützer den Park, um die Abholzung der Bäume zu verhindern. Die Polizei reagierte mit Gewalt, was landesweite Proteste auslöste. Die Bewegung weitete sich aus und umfasste Themen wie Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und die zunehmende Autorität der Regierung unter Premierminister Recep Tayyip Erdoğan. Millionen von Menschen beteiligten sich an den Protesten, die über mehrere Wochen anhielten. Der Gezi-Park-Protest wird oft als Türkischer Frühling bezeichnet und gilt als symbolischer Akt des Widerstands gegen die autoritäre Tendenz der türkischen Regierung.

Der Putschversuch und die Repressionen

Der Putschversuch in der Türkei am 15. Juli 2016 markierte einen tiefen Einschnitt in der türkischen Politik. Teile des Militärs versuchten, die Macht zu übernehmen, scheiterten jedoch an massiver Gegenwehr der Regierung und der Bevölkerung. Präsident Erdoğan nutzte den gescheiterten Putsch als Vorwand, um umfangreiche Repressionen einzuleiten. 

Zehntausende Menschen, darunter Militärangehörige, Richter, Lehrer und Journalisten, wurden verhaftet oder entlassen. Die Regierung erklärte den Ausnahmezustand und führte umfangreiche Säuberungsaktionen durch, um vermeintliche Anhänger des Predigers Fethullah Gülen, den sie für den Putsch verantwortlich machte, aus staatlichen Institutionen zu entfernen. Diese Maßnahmen führten zu einer erheblichen Einschränkung der Bürgerrechte und der Meinungsfreiheit in der Türkei.

Das Referendum 2017

Das Verfassungsreferendum in der Türkei am 16. April 2017 war ein entscheidender Moment in der türkischen Politik. Die Abstimmung zielte darauf ab, das politische System von einer parlamentarischen Demokratie in ein Präsidialsystem umzuwandeln, was Präsident Erdoğan erhebliche zusätzliche Machtbefugnisse verlieh. Die Reformen ermöglichten ihm, sowohl Staatsoberhaupt als auch Regierungschef zu sein, Dekrete zu erlassen und die Kontrolle über die Justiz zu verstärken. Die Kampagne im Vorfeld des Referendums war stark umstritten und von Vorwürfen der Unfairness geprägt, da oppositionelle Stimmen und kritische Medien  unterdrückt wurden. Letztlich wurde das Referendum mit 51,4 % der Stimmen knapp angenommen. Diese Umstellung festigte Erdoğans Macht und löste internationale Besorgnis über die Zukunft der türkischen Demokratie aus.

 

Kommunalwahlen Türkei
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Die Türkei-Wahlen 2023

Die Wahlen 2023 in der Türkei waren von großer Bedeutung, da sie als Test für Präsident Erdoğan und seine regierende AKP galten. In Ankara und Istanbul, den beiden größten und politisch bedeutendsten Städten des Landes, stand besonders viel auf dem Spiel. Erdoğan und seine Partei sahen sich einer wachsenden Unzufriedenheit in der städtischen Bevölkerung gegenüber, die sich über Menschenrechtsverletzungen, Einschränkungen der Pressefreiheit und wirtschaftliche Schwierigkeiten aufgrund der galoppierenden Inflation beschwerten. 

Diese Faktoren führten zu einer verstärkten Unterstützung für die Opposition, insbesondere die CHP, die in beiden Städten an Einfluss gewann. Trotz intensiver Wahlkampfmaßnahmen und staatlicher Ressourcen, die für die AKP mobilisiert wurden, musste Erdoğan feststellen, dass die Verletzungen der Menschenrechte und die zunehmende autoritäre Regierungsführung viele Wähler entfremdeten. Dies führte zu erheblichen Verlusten für die AKP, insbesondere in den urbanen Zentren, und markierte einen möglichen Wendepunkt in der türkischen Politik.

 

Abdul Öcalan
IKHRW

Repressionen einzelner Personen in der Türkei

In der Türkei sind Repressionen gegen Einzelpersonen seit Jahren an der Tagesordnung, besonders unter der Regierung von Präsident Erdoğan. Kritiker der Regierung, darunter Journalisten, Akademiker, Menschenrechtsaktivisten und Oppositionelle, werden regelmäßig ins Visier genommen. Viele wurden unter dem Vorwurf der Terrorunterstützung oder der Beleidigung des Präsidenten verhaftet. Die Justiz wird oft genutzt, um unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen. Soziale Medien sind ebenfalls ein Schauplatz für Repressionen, mit strengen Gesetzen zur Kontrolle und Überwachung von Online-Aktivitäten. Diese Maßnahmen haben zu einer Atmosphäre der Angst und Selbstzensur geführt, die die Meinungsfreiheit stark einschränkt und den demokratischen Diskurs im Land untergräbt.

 

Türkeikarte mit Natoflagge
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Die Türkei und die NATO

Die Türkei ist seit 1952 Mitglied der NATO und spielt eine strategisch wichtige Rolle innerhalb des Bündnisses. Aufgrund ihrer geografischen Lage an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien dient die Türkei als Brücke zum Nahen Osten und Kaukasus. Diese Position verleiht der NATO wichtige militärische und sicherheitspolitische Vorteile. Dennoch hat das Verhältnis zwischen der Türkei und anderen NATO-Mitgliedern in den letzten Jahren Spannungen erlebt. Insbesondere wegen Menschenrechtsverletzungen, der autoritären Politik von Präsident Erdoğan und geopolitischen Entscheidungen wie dem Kauf des russischen S-400-Raketenabwehrsystems gab es Bedenken und Konflikte. Trotz dieser Herausforderungen bleibt die Türkei ein wesentlicher Partner in der NATO, insbesondere in Bezug auf die Bekämpfung des Terrorismus und die regionale Stabilität.

 

Türkei EU Karte
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Die Türkei und die EU

Die EU hat seit Jahren ihre Zurückhaltung gezeigt, die Türkei als Vollmitglied aufzunehmen, hauptsächlich aufgrund anhaltender Bedenken bezüglich Menschenrechtsverletzungen und demokratischer Standards. Insbesondere unter der Regierung von Präsident Erdoğan hat die Türkei Maßnahmen ergriffen, die die Unabhängigkeit der Justiz einschränken, die Pressefreiheit unterdrücken und politische Opposition unterdrücken

Diese Entwicklungen haben die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU belastet. Zusätzlich zu diesen internen Fragen gibt es auch geopolitische Bedenken und Meinungsverschiedenheiten über regionale Angelegenheiten wie Zypern und die Flüchtlingsfrage. Diese Komplexität und die wachsende Divergenz zwischen der Türkei und der EU haben zu einem Pattsituation geführt, die eine vollständige Integration der Türkei in die EU in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich macht.

Die Türkei und BRICS

Die Türkei hat mit dem BRICS-Bündnis (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) potenzielle geopolitische Überschneidungen und wirtschaftliche Interessen aber keine formelle Mitgliedschaft. Trotzdem unterhält sie bilaterale Beziehungen mit den einzelnen BRICS-Ländern, insbesondere wirtschaftliche Kooperationen mit Russland und China. Diese Zusammenarbeit konzentriert sich oft auf Handel, Energie und Infrastrukturprojekte. 

 

Korruption in der Türkei Statistik
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Korruption in der türkischen Politik

Korruption ist ein weit verbreitetes Problem in der türkischen Politik und hat erhebliche Auswirkungen auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Vorwürfe gegen hochrangige Politiker und Beamte sind an der Tagesordnung. Besonders besorgniserregend sind Fälle, in denen öffentliche Aufträge und Ressourcen missbraucht werden, um persönliche Bereicherungen oder politische Vorteile zu erlangen. 

Diese Praktiken untergraben das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen und führen zu einem Klima der Straflosigkeit. Internationale Organisationen wie Transparency International haben die Türkei regelmäßig in ihren Berichten kritisiert und niedrige Werte im Corruption Perceptions Index dokumentiert. Es besteht ein dringender Bedarf an Reformen, um Transparenz und Verantwortlichkeit in der türkischen Politik zu stärken und die Korruption effektiv zu bekämpfen.

Die Türkei erzielte im Corruption Perceptions Index (CPI) 2022 einen Wert von 34 Punkten und belegte damit Rang 115 von 180 untersuchten Ländern. Die Statistik zeigt die wahrgenommene Korruption im öffentlichen Sektor der Türkei  (insbesondere bei Beamten und Politikern) laut dem CPI für die Jahre 2013 bis 2023. Dabei steht ein Wert von "0" für sehr hohe Korruption, während ein Wert von "100" für eine sehr hohe Integrität und damit weitgehende Freiheit von Korruption steht.

Inflation in der Türkei

Die Inflation in der Türkei ist seit Jahren ein zentrales wirtschaftliches Problem. Hohe Inflationsraten haben die Kaufkraft der Bevölkerung erheblich geschwächt und zu sozialen Belastungen geführt. Ursachen dafür sind unter anderem wirtschaftliche Ungleichgewichte, eine instabile Währung, politische Unsicherheiten  wie Energie- und Lebensmittelpreise. Trotz wiederholter Maßnahmen der Zentralbank und der Regierung, die Inflation zu kontrollieren, blieben die Raten hoch. Dies beeinträchtigt die wirtschaftliche Stabilität des Landes und wirkt sich negativ auf das Vertrauen von Investoren aus. Die Bewältigung der Inflation stellt eine große Herausforderung für die türkische Wirtschaftspolitik dar und erfordert langfristige Lösungen und Strukturreformen.

Für die Zukunft der Türkei ist es entscheidend, konstruktive Beziehungen mit der EU zu pflegen und zu stärken. Ein respektvoller Umgang mit Menschenrechten und die Festigung demokratischer Institutionen sind unerlässlich, um Vertrauen zu gewinnen und die internationale Glaubwürdigkeit zu sichern. Eine Rückbesinnung auf rechtsstaatliche Prinzipien und die Förderung einer pluralistischen Gesellschaft werden helfen, die gesellschaftliche Stabilität zu festigen und das Potenzial des Landes als regionale Führungskraft zu stärken.

Autorin: Jasmin, 25.06.24 - Artikel lizenziert unter CC BY-NC-ND 4.0

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