Eine Demo der IB
Flickr | Ivan Radic - CC BY 2.0

Identitäre Bewegung in Österreich - Rechtsextremismus, rechte Jugendkultur und Ethnopluralismus

Die ➡️ Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ) wurde 2012 gegründet. Sie geht auf die Initiative neurechter Aktivisten in Frankreich zurück, wo bereits 2003 eine rechtsextreme Gruppe mit dem Namen Bloc identitaire ins Leben gerufen wurde. Öffentlich in Erscheinung trat man dort erstmals 2012, als medienwirksam eine Moschee in Poitiers besetzt wurde. Aus der Gruppe entwickelte sich eine neurechte Bewegung, die in mehreren europäischen Ländern gleichwertige Ableger fand. 

In Österreich wurde die Gruppe unter anderem von Martin Sellner, Patrick Lenart und Alexander Markovics unter dem Namen „Wiens Identitäre Richtung“ (W.I.R.) gegründet, wenig später ging man in den „Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität“ über. Markovics hat eine lange Karriere in der rechten Bewegung hinter sich. Er entstammt dem deutschnationalen Milieu und ist Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Olympia. 

Bereits 2010 kandidierte Markovics für die FPÖ-Wien auf Bezirksebene; zwei Jahre später rief er die IBÖ mit ins Leben und war bis 2015 deren Obmann. Später distanzierte er sich von der Gruppe, verblieb aber in rechtsextremen Kreisen. Er ist Generalsekretär des Suworow-Instituts, das sich für den österreichisch-russischen Dialog einsetzt und nationalistische, antiliberale und antiwestliche Positionen vertritt. Regelmäßig veröffentlicht er in neurechten Magazinen wie der Deutschen Stimme, Sezession oder Info-DIREKT. 

 

Martin Sellner auf der Frankfurter Buchmesse 2017
Wiki | Ptolusque - CC BY-SA 4.0

Martin Sellner - der rechtsextreme Vordenker der IBÖ

Auch Martin Sellner hat eine bewegte Karriere in der rechten Szene hinter sich. Schon als Jugendlicher war er in der Neonazi-Szene aktiv, avancierte zum Schützling vom verurteilten Holocaust-Leugner Gottfried Küssel und wurde 2006 verhaftet, als er Hakenkreuz-Sticker an einer Synagoge im niederösterreichischen Baden klebte. 

Seine politische Sozialisierung setzte sich in der rechtsextremen Burschenschaft Olympia fort. Innerhalb der IBÖ stieg er schnell zur Lichtfigur der Bewegung auf. Anders als viele andere rechte Aktivisten suchte er das Rampenlicht und setzte sich selbst in Szene. Lange Zeit betrieb er einen YouTube-Kanal, von dem er neben politischen Inhalten auch aus seinem Alltag vloggte. 2020 hatte er über 100.000 Abonnenten, doch im selben Jahr wurde der Account und sein Twitter-Profil wegen Hassrede gesperrt. 

Doch Sellner war zu diesem Zeitpunkt schon gut vernetzt und Teil des vom deutschen Rechtsextremisten Götz Kubitschek gegründeten „Institut für Staatspolitik", das als neurechtes Think-Tank gesehen wird. Wie weit sein politischer Einfluss mittlerweile reicht, bewiesen die Veröffentlichungen um ein rechtes Geheimtreffen in Potsdam im November 2023. Dort traf sich Sellner mit AfD-, CDU- und Werteunion-Politikern, um über großangelegte Abschiebungen aus Deutschland zu beraten. Auch zu hochrangigen Mitgliedern der FPÖ- und AfD-Jugendorganisation Junge Alternative besitzt er nachweislich gute Kontakte.

Nachdem er von Twitter, Instagram und YouTube gesperrt wurde, nutzt er vor allem Telegram, um seine rassistischen, völkischen und antisemitischen Botschaften zu verbreiten. Aktuell folgen ihm über 65.000 Menschen, wenn er Migration für die Verbreitung der Corona-Pandemie verantwortlich macht oder antisemitische Stereotypen in Bezug auf den ungarischen Philantrophen George Soros bedient. 2019 wurde bekannt, dass Sellner mehrmals Kontakt zu Brenton Tarrant hatte und von ihm eine Geldspende erhielt. Der Rechtsterrorist hatte in Neuseeland zwei Moscheen angegriffen und über 50 Menschen getötet. 

 

Demo der Identitären Bewegung Österreichs in Wien wegen Symbol-Verbot 2021
Flickr | Ivan Radic - CC BY 2.0

Strategien, Aktionen und Ideologie der IBÖ

In der Folge kam es zu Ermittlungen gegen Sellner und die IBÖ. Der damalige Bundeskanzler Kurz ließ eine Auflösung der Gruppe prüfen; die Ermittlungen wurden dann allerdings ergebnislos eingestellt. Bereits 2018 war gegen die IBÖ wegen Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt worden – es gab mehrere Hausdurchsuchungen.

Daneben gab es immer wieder Ermittlungen gegen Mitglieder wegen tätlichen Angriffen, Körperverletzung und ihren zahlreichen Störaktionen. Aktionistische Protestformen sind seit den Anfangszeiten eines der Hauptelemente der Gruppe. Erstmals störten sie 2012, verkleidet mit Affen- und Schweinemasken, einen afro-haitischen Tanzworkshop. Ein Jahr später besetzen sie eine von Geflüchteten genutzte Kirche. 2016 stürmten sie eine Theateraufführung von Geflüchteten und verteilten Kunstblut. Mehrmals charterte man Schiffe, um Rettungsaktionen im Mittelmeer zu stören. 

Durch gezielte Pressearbeit und Social Media Bespielung gelang es der Gruppe, eine relativ hohe Reichweite zu erzielen. Man präsentierte sich als patriotische NGO für den Erhalt kultureller Identität und propagierte den Ethnopluralismus, der von einem starren Kultur- und Völkerbegriff ausgeht. Das selbsterklärte Ziel sind räumlich und kulturell abgetrennte Völker, die nicht durchmischt werden. Um dies zu erreichen, möchte man Zuwanderung strikt begrenzen, massenhafte Abschiebungen durchführen und konservative Familien- und Rollenbilder etablieren.  

Auch wenn die neurechte Bewegung versucht, den Begriff der „Rasse" in ihrer Ideologie zu vermeiden, werden rassistische und sozialdarwinistische Ansätze vertreten, die auf der Abwertung und Ausgrenzung des Anderen basieren. Man versucht alte rechtsextreme Kampfbegriffe neu zu benennen und spricht von „Remigration" anstatt „Abschiebungen", „Großer Austausch" statt „Überfremdung" oder „Ethnopluralismus" statt „Apartheid". Nichtsdestotrotz beruft sie die Gruppe klar auf eine völkisch-nationale Identität und besticht durch neofaschistische Merkmale

Seit 2014 wird die IBÖ in Österreich vom Verfassungsschutz als rechtsextreme Gruppe regelmäßig behandelt. Die Symbole der Gruppe sowie ihrer Nachfolge-Organisation „Die Österreicher" wurden 2021 verboten. Man geht von knapp 500 aktiven Mitgliedern aus, organisiert in regionalen Untergruppen in den verschiedenen Bundesländern. 

Die Struktur dieser Gruppen ist autoritär-hierarchisch aufgebaut; man verpflichtet sich vordergründig der Bewegung zu widmen und ist angehalten, regelmäßig an Kampfsport- und Demotraininings teilzunehmen. Immer wieder wurden bundesweit Räumlichkeiten angemietet, um infrastrukturelle Zentren für die Bewegung zu schaffen. Bis 2019 gab es diese Zentren in Linz und Graz - dort in der Wohnung des FPÖ-Gemeinderats Heinrich Sickl angesiedelt. 2020 wurde eine Immobilie in Steyregg gekauft.

Doch nach den Enthüllungen um die Verbindungen zwischen Sellner und dem Christchurch-Attentäter erhielt die Bewegung einen Dämpfer. Denn medial wurden danach viele Verbindungen zwischen Mitgliedern der FPÖ und der IBÖ öffentlich. Der damalige Vizekanzler und FPÖ-Parteiobmann Heinz-Christian Strache versprach auf den Landesparteitag 2019 eine strikte Abgrenzung zur rechtsextremen Gruppe. 

Durch die negative Berichterstattung verlor man auch die beiden Zentren in Linz und Graz. Die Gruppe zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und gründete 2020 die Tarnorganisation Die Österreicher", übernahm aber überwiegend die Strategien und Aktionsformen der IBÖ. Anfang 2023 verkündete Sellner dann seinen Rückzug aus der Gruppe, an seine Stelle traten die Burschenschafter Gernot Schmidt und Jakob Gunacker.

 

Eine Demo der IBÖ in Wien
Flickr | Ivan Radic - CC BY 2.0

Das rechte Netzwerk aus FPÖ und IBÖ

Doch auch wenn die Gruppe in den letzten Jahren an Medieninteresse und öffentlicher Wirksamkeit eingebüßt hat – ihre Verbindung zur FPÖ war und ist allgegenwärtig. Die Netzwerke waren parteiintern lange Zeit umstritten und Kontakt erfolgte nur unter Geheimhaltung. Doch mittlerweile ist von der ehemaligen Distanz der FPÖ kaum mehr etwas übrig geblieben – im Gegenteil. Der aktuelle FPÖ-Obmann Herbert Kickl nennt die IBÖ ein "interessantes und unterstützenswertes Projekt" (Kurier 2021).

Sellner revanchierte sich und warb mehrmals öffentlich für Kickl. Doch auch die Verflechtungen zwischen FPÖ und IBÖ sind zahlreich. Im rechtsextremen Magazin Info-DIREKT finden sich immer wieder FPÖ-Inserate; es gehört anteilig dem Linzer FPÖ-Politiker Ulrich Püchel, der mehrmals an IBÖ-Demos teilnahm. Auch das ehemalige IBÖ-Führungsmitglied Markovics ist gut mit FPÖ-Politikern vernetzt und führte mit diesen regelmäßig Interviews, die in identitären Druckwerken verbreitet wurden. 

Jürgen-Michael Kleppich, der 2019 für die FPÖ im Außenministerium arbeitete, wurde aus Israel zurückbeordert – weil er auf Fotos identitäre Shirts trug. Der ehemalige FPÖ-Verteidigungsminister Mario Kunasek wurde bei einem Treffen mit Identitären in der Südsteiermark gesehen. Das identitäre Hausprojekt in Graz wurde vom FPÖ-Gemeinderat Heinrich Sickl an die Gruppe vermietet. Dort beteiligte sich auch der damalige Bezirksobmann, Luca Kerbl, an einer identitären Besetzung der Grünen-Parteizentrale. Die Liste der identitären Aktivisten, die auf Bundes- und Landesebene für die FPÖ arbeiten, ist lang und gut dokumentiert (Standard 2019). 

Seit der Corona-Pandemie sprechen Experten sogar von einer regelrechten Verschmelzung der IBÖ mit der FPÖ (tagesschau 2024). 2021 wird ein IBÖ-Unterstützer und FPÖ-Lokalpolitiker in Wien verhaftet - er hatte eine Terroranschlag auf ein kommunistisches Volksfest geplant. Vor allem die FPÖ-Jugendorganisation Ring Freiheitlicher Jugend Österreich (RFJ) hat zunehmend die Strategien, Handlungsmuster und Sprache der IBÖ übernommen. Der RFJ wirbt auch offen für IBÖ-Veranstaltungen - die personellen Überschneidungen sind ohnehin hoch. Bei einem RFJ-Stammtisch wurde auch der ehemalige Wiener FPÖ-Vizebürgermeister Dominik Nepp mit identitären Aktivisten gesehen.

Da verwundert es auch nicht, dass der FPÖ-Jugendvorsitzende von Oberösterreich, Silvio Hemmelmayr, bei einer IBÖ-Demo in Wien 2023 den rechten Schulterschluss öffentlich ausspricht. Kickl hatte schon 2016 beim rechtsextremen Linzer Kongress „Verteidiger Europas“ vor Identitären gesprochen und seine Verbundenheit zur anwesenden Klientel bekundet. 

Zuletzt hatte die FPÖ im März 2024 eine Reisegruppe aus Identitären und rechtsextremen Medienschaffenden offiziell ins EU-Parlament eingeladen (Standard 2024). Vor Ort bepöbelten die Rechten andere Medienvertreter – die FPÖ verteidigte ihre Gäste: die etablierten Journalisten hätten sich wohl in ihrer Deutungshoheit gestört gefühlt. Auch das unterstreicht: Die Zeit der Distanzierung ist vorbei. Längst stehen rechte Parteien wie die FPÖ und die AfD zu ihren Verbindungen zur Identitären Bewegung. 

 

Eine Demo gegen Rechts mit vielen Plakaten
Flickr | Fraktion Die LINKE - CC BY 2.0

Eine rechte Bewegung als Gefahr für die Demokratie in Österreich

Es lässt sich zunehmend eine Verschmelzung zu einer rechten Gesamtbewegung beobachten, die sich von der Straße bis ins Parlament formiert und arbeitsteilig vorgeht. Die IBÖ fungiert dabei als Sprachrohr auf der Straße, das für subversive Störaktionen zuständig ist und Jugendkultur von rechts prägen soll. Finanzielle Mittel und politische Rückendeckung kommen von der FPÖ. Die wiederum kann auf rechten Nachwuchs hoffen, der vor allem auch durch den jugendlichen Aktionismus und die gezielte Bespielung von sozialen Medien erreicht wird. 

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl sieht dabei auch eine zunehmende gesellschaftliche Radikalisierung; rechte Wähler würden sich auch durch offene Verbindungen zu Neonazis und Rechtsextremismus nicht mehr abschrecken lassen – im Gegenteil (tagesschau 2024). Im Klima, sozialer Polarisierung, Hetze und Abgrenzung wird es legitim, sich auch durch rechtsradikale Positionen abzugrenzen und seine Ablehnung gegen das vermeintliche System und dessen Fehlstellungen durch menschenverachtende Einstellungen zu manifestieren. 

Das Ergebnis ist eine zunehmend in Bedrängnis geratene Demokratie und rechte Kräfte, die sich schon in einer Gesellschaft wähnen, die auf Ausgrenzung, Abschottung und einem verstaubten Kulturbegriff beruht. Doch diese Fantasien könnten Wirklichkeit werden – und eine drastische Verschlimmerung der sozialen Ungleichheit, grobe Verstöße gegen die Menschenrechte und Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit bedeuten. 

Im Herbst 2024 wird in Österreich ein neuer Nationalrat gewählt. Aktuell führt die FPÖ in allen relevanten Umfragen. Die menschenverachtende Ideologie könnte bald Realpolitik werden. Landesweit formiert sich langsam ein Widerstand. Bessere Welt Info steht gegen rechten Hass und soziale Spaltung. Wir beschäftigen uns kritisch mit der Person Herbert Kickl, der bisherigen Regierungsbilanz der FPÖ oder dem zunehmenden Rechtsextremismus in Österreich. Wir möchten aufklären und bilden, um eine sozialere und menschlichere Gesellschaft zu erreichen – ohne rechte Kräfte in Führungspositionen. Dafür informieren wir auch ausführlich zur Nationalratswahl 2024. Geh wählen – deine Stimme zählt!

Autor: Maximilian Stark 19.03.24, lizenziert unter CC BY-NC-SA 4.0

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